
Die Hutterer
In Tirol und Südtirol gibt es den Hutterer Arbeitskreis, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Besucher*innen aus den verschiedensten Hutterer-Kolonien in Kanada, die teilweise geschäftlich jedes Jahr nach Europa kommen, in der Heimat ihrer Vorfahren zu deren Wirkungsstätten zu begleiten. Leider sind es auch oft jene Orte, wo diese Täufer zu Tode gekommen sind. Dadurch, dass ich bei diesen Führungen in Tirol auch öfters aktiv dabei war und bin, kam es zu meinen ersten Begegnungen mit den Hutterern.
In Tirol weiß man über diese Glaubensbewegung im Allgemeinen nur sehr wenig, daher ist es dem Hutterer Arbeitskreis gemeinsam mit dem Verein zur Täufergeschichte ein Anliegen, die Historie der Täufer zu erforschen und mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen diese Bewegung wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.
Die Wurzeln der Freikirchen liegen in der Täuferbewegung, die sich wie die Hutterer für die Erwachsenentaufe als bewusste Entscheidung zur Nachfolge Jesu aussprechen. Dies hatte im Mittelalter u.a. zu Verfolgung, Folter und Hinrichtung der Täufer von katholischer und staatlicher Seite geführt, vor allem auch, weil die Hutterer den Kriegsdienst verweigerten. Jakob Huter wurde in Moos bei Sankt Lorenzen im Pustertal geboren und 1536 vor dem Goldenen Dachl am Scheiterhaufen verbrannt. Das ist auch auf einer Gedenktafel beim Goldenen Dachl nachzulesen. 2008 haben die Bischöfe von Tirol und Südtirol Abbitte für das entstandene Unrecht an den Hutterern geleistet. Auch die Landeshauptleute von Tirol und Südtirol haben anerkannt, dass den Hutterern Unrecht widerfahren ist, und haben sich bereit erklärt, den Hutterern beim Erhalt der deutschen Sprache behilflich zu sein.
So bekam ich die Möglichkeit, die Hutterer in Kanada zu besuchen und den Lehrkräften dort Deutschunterricht zu erteilen. Im Sommer 2023 durfte ich zum ersten Mal – mit 30 kg Schulbüchern im Gepäck – nach Manitoba reisen. Im Sommer 2024 wurde der Unterricht fortgesetzt und ich konnte verschiedene Colonies kennenlernen.
Leben in einer Hutterer Colony
Die Hutterer sprechen in ihrer „Gmah“ (Gemeinschaft) Huttrisch. Das ist ein Dialekt aus dem Südtirolerischen und Kärntnerischen, vermischt mit Wörtern anderer Sprachen, die sie im Laufe ihrer Vertreibung durch europäische Länder aufgeschnappt haben. Und zusehends wird er mit englischen Ausdrücken angereichert.
Huttrisch ist ein Dialekt aus dem Südtirolerischen, Kärtnerischen und Wörtern aus Sprachen, die die Hutterer im Laufe der Vertreibung durch Europa aufgeschnappt haben.
Bei meinem ersten Aufenthalt wurde ich bei der Ankunft am Flughafen in Winnipeg schon vom „Schulinspektor“, einem der beiden Vorsitzenden des Hutterite Education Commitee, erwartet und sehr freundlich in seine Familie aufgenommen. Diese Colony verfügte sogar über ein schönes, großes Schwimmbad mit Alubecken und ich wurde eingeladen, wann immer ich Lust hätte, schwimmen zu gehen. Es gibt eine Zeiteinteilung für das Männer-, Frauen- und Familienschwimmen. Als ich dann zum Frauenschwimmen ging, mit meinem vermeintlich „keuschen“ Badeanzug, kam ich mir doch recht unbekleidet vor: Alle Mädchen und Frauen schwimmen mit T-Shirt und Radlerhose bzw. dünnen Röcken. Ich wurde aber weder angestarrt noch ausgelacht, wahrscheinlich hatte man schon Erfahrung mit den „Engländern“, so werden alle außerhalb der Colony genannt, die keine Hutterer und mit ihrer Lebensweise nicht vertraut sind.
Bald übersiedelte ich in die zweite Colony, die zu einem von zwei Standorten des Unterrichts bestimmt worden war. Dorthin wurden von verschiedenen Höfen in der Umgebung Lehrpersonen zum Unterricht geschickt. Es erfolgte ein wöchentlicher Wechsel der Standorte, da im Sommer auch die Lehrkräfte an den Höfen in der landwirtschaftlichen Arbeit eingesetzt sind und nicht wie bei uns die Ferien zur Erholung genießen können.
Gleich am zweiten Tag wurde ich „hutterisiert“, das heißt, ich wurde gefragt, ob ich nicht hutterisches Gewand anziehen möchte. Das war keine Voraussetzung für meinen Aufenthalt, wurde aber sehr geschätzt und ich war dadurch sehr schnell integriert („bist ja schon fast ane von uns“). Das Gewand besteht aus einem schlichten langen Kleid, ähnlich einem Dirndl (von dem es ja sicher abstammt, nur ohne Schürze), einer kurzärmeligen, weißen Bluse und einem schwarzen Kopftuch. Ich bekam sofort so viele Kleider und Blusen, dass ich jeden Tag ein anderes Gewand anziehen konnte. Es gibt dabei Unterscheidungen zwischen einem normalen und einem Arbeitsgewand, das eine meist aus fließendem Stoff, das andere aus Waschbaumwolle, das auf den Feldern, im Garten, zum Putzen oder zu diversen Küchenarbeiten getragen wird.
Ein Tag in einer Hutterer Colony
Um 06:30 Uhr ertönt die Glocke (first call), die darauf hinweist, dass es in einer halben Stunde zum Frühstück geht. Wohnt man mit einer Familie, hört man dann schon manchmal rufen: „Aufstehen, es hat geglögglt!“ Das gilt den Jugendlichen, die nicht gerne früh aus dem Bett wollen.
Um sieben Uhr, beim zweiten Glockenklang, strömen die Erwachsenen aus den Häusern in die Gemeinschaftsküche, wo man sich an einem Buffet bedienen kann. Es wird immer frisches, rohes Gemüse, Eier, Toast, gebratener Speck oder Omelett, auch Marmeladen, Obst und Porridge („Gritz“ von Grütze) angeboten. Mit dem Teller geht man in den Speisesaal und nimmt am Tisch Platz: meist streng nach Geschlechtern getrennt, links die Männer, rechts die Frauen. Gäste werden sehr gerne und bereitwillig von Jüngeren mit Säften oder Nachschlag bedient, das gebietet die Höflichkeit. Tee, Kaffee oder Fruchtsäfte gibt es auf einem Tisch in der Mitte, zu dem alle Zutritt haben.
Dann beginnt der Prediger mit dem Tischgebet: „Segne uns und diese Gaben, die wir von dir empfangen werden, durch Jesum Christum, Amen.“ Vorher wird niemand mit dem Frühstück beginnen. Das Frühstück dauert meist nicht länger als eine Viertelstunde, dann sagt der Prediger „Samma sott, tua ma danken“, und spricht das Dankgebet. Das endet damit, dass man vielmehr um den geistlichen Segen bittet als um den leiblichen, den man gerade durch die Speisen empfangen hat. Anschließend wird das Geschirr von jedem Einzelnen in die Küche gebracht und in vorbereitete Behälter für die Spülmaschine gestellt. Die Frauen helfen entweder beim Abspülen oder sie gehen gleich an die Arbeit, wenn sie zum Kochen eingeteilt sind. Oder aber sie gehen nach Hause zu den Kindern, bis die Arbeit im „Garten“ (damit meint man eher die Gemüsefelder rings um die Colony), im „Schlachterhäusl“, beim Brotbacken, Einkochen und Konservieren, oder wo immer sie sonst gebraucht werden, ruft.
Die Männer arbeiten in den „Shops“ (Werkstätten), fahren mit den Lkw, um Waren auszuliefern, oder sie werden auch beim Schlachten gebraucht, das manchmal alle zwei bis drei Wochen stattfindet. Truthähne, Hennen, Brathühner, Schweine, Enten, der Vorrat muss immer wieder aufgestockt werden, denn eine Colony, die „Gmah“, hat zwischen 80 und 120 Mitglieder, die versorgt werden müssen. Gibt es irgendeine Besonderheit oder werden mehr Mädchen („Diane“) zum Verarbeiten der Vorräte gebraucht, ertönt ein Textcall in allen Häusern aus dem Lautsprecher: „Diane, kommts in die Kuchl!“
Zu Mittag und abends läuft es nach dem gleichen Muster ab: Glocke zum first call um halb zwölf, bzw. zum Abendessen um sechs Uhr. Auswahl wieder am Buffet: immer rohes Gemüse –Karottensticks, Karfiolröschen in allen Farben, Scheiben von „Wakleschan“ (Tomaten), „Krazawitz“ (Gurken) – und sehr oft auch gekochte Rohnen und alle Arten von gekochtem Gemüse. Salate, Fleisch, Fisch, Pizza, Homefries (Pommes), Burger, die an unterschiedlichen Tagen zubereitet werden, Obst, Kompotte, … alles da. Es war für mich immer erstaunlich, welche Berge von Essen auf den einzelnen Tellern landeten und in den Speisesaal hineingetragen wurden.
Die Erntezeit im Herbst ist sehr intensiv. In den meisten Fällen gehören zu den Höfen große Äcker und Grünflächen, die bewirtschaftet werden: Kartoffeln, verschiedene Getreidesorten, Raps (Canola, eine eigene Züchtung in und für Canada) werden mit großen Erntemaschinen (combines) eingebracht und in verschiedenen Silos aufbewahrt, entweder für Futter oder zum Verzehr. Wenn das Wetter passt, wird oft bis spät in der Nacht mit den riesigen Mähdreschern gearbeitet, eine typische Männerarbeit. Bei der Kartoffelernte helfen alle mit, da geht es auch um das Sortieren und Lagern. Die Hutterer sind die größten Kartoffellieferanten für Chips und Pommes für verschiedene Fastfood-Ketten. Einige Höfe bieten ihre Waren „ab Hof“ an, manche auch in den Städten der Umgebung bei Händler*innen oder auf Märkten. Da gibt es nicht nur Gemüse, sondern auch die verschiedensten Fleischprodukte wie Würste, Speck, aber auch Truthähne, Brathühnchen etc.
Ist am Nachmittag Gebet, wird dies auch durch die Glocke vorher angekündigt. Dann kommen alle aus den Häusern zum Gebetsraum. Die Frauen mit einem schwarzen Janker (dem „Wanik“), in den üblichen langen Kleidern und mit dem schwarzen Kopftuch (dem „Tiechl“), die Männer mit schwarzem Sakko, schwarzer Hose und ebensolchem Hut. In den freieren Höfen werden nur am Sonntag Hüte getragen, nicht zum Gebet unter der Woche. Der Prediger trägt immer seinen Hut. Egal, wie schmutzig die Hosen sind– solange man nur den schwarzen Janker trägt, ist alles in Ordnung. Im Eingangsbereich des Gotteshauses wird der Hut aufgehängt und Männer, Frauen und Kinder nehmen ihre Plätze ein: links die Männer, rechts die Frauen, genau nach Alter geordnet. Die Jüngsten sitzen vorne, die Alten ganz hinten. Gäste aus anderen Colonies sitzen in der letzten Bank, die in manchen Gemeinden einen Abstand zu den anderen Bänken hat. Ordnung muss sein! Das Gebet dauert oft eine dreiviertel Stunde bis eine Stunde, der Gottesdienst am Sonntag oder die „Lehr“, wie die Hutterer sagen, mindestens eine Stunde bis eineinhalb Stunden.
Die „Lehr“ findet am Sonntagvormittag statt, meist um 10 Uhr. Der Sonntag gehört ganz der Familie. Es wird nur in den seltensten Fällen gearbeitet und wenn, dann auch nur in ganz dringenden Fällen (z. B. wenn ein Messer des Mähdreschers gebrochen ist, der am Montag wieder im Dauereinsatz steht). Die Väter spielen mit den Kindern und Jugendlichen bei Fußball, Baseball oder Volleyball mit, die Familie macht eine Radtour, geht schwimmen oder einfach nur „spazieren“. Das wird aber ganz anders verstanden als bei uns. Spazieren bedeutet einfach besuchen, dazu fährt man auch gern in andere Höfe. „Kommst spazieren?“ heißt „Kommst uns besuchen?“ – meist zu einem Tee, Kaffee oder Snack am Nachmittag oder nach dem Abendessen. Die Hutterer „gleichen“ (lieben) das Essen, das heißt, sie essen einfach gern!
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- Leben in einer Hutterer Colony (2): Hausarbeiten, Hobbies und Hochzeiten
- Leben in einer Hutterer Colony (3): "Klane Schul", "Deitsche Schul" und wie alte Menschen gut umsorgt werden
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