
Der Gator
Ist man als Gast erst einmal Teil einer Colony, so erlebt man eine unbeschreiblich große Gastfreundschaft. Man wird herzlich eingeladen und aufgenommen, jede und jeder erkundigt sich nach der Familie, und es wird auch erwartet, dass man selbst am Familienleben teilnimmt. Nachdem es ja kein Fernsehen oder Radio gibt, ist man begierig, alle Neuigkeiten zu hören und auszutauschen.
Ist man als Gast erst einmal Teil einer Colony, so erlebt man eine unbeschreiblich große Gastfreundschaft.
Gerne wird man auch im „Gator“, dem Golfwagerl, das so ziemlich jede Familie besitzt, in der Colony herumgefahren, um z. B. die außerhalb gelegenen Felder, Gemüsegärten, Ställe, Baustellen (es wird immer wieder ein neuer Stall, ein Greenhaus oder ein Silo gebaut) zu besuchen, Gemüse oder Obst zu holen oder einfach nur einen kleinen Ausflug entlang des Flusses oder zum Schwimmteich zu unternehmen.
Diese „Gators“ sind vor allem bei den Buben sehr beliebt, die schon ab zehn Jahren mit diesem Gefährt und ihren Freunden herumflitzen, meist in wichtiger Mission und gern viel schneller als mit den erlaubten 30 km/h, was zu Ermahnungen und lauten Zurufen der Erwachsenen führt.
Der „Gator“ ist auch ein beliebtes Fortbewegungsmittel für Frauen, die in den traditionellen Colonies keinen Führerschein machen dürfen, und so diese Fahrzeuge als Autoersatz verwenden. Sie fahren auch mit dem Traktor, aber nicht auf öffentlichen Straßen, sondern nur innerhalb der Colony.

"Mitz" und Quilt
Handys gibt es auch, jedoch erlauben nur die fortschrittlicheren Gemeinden Internet, Facebook und WhatsApp. Die anderen benutzen das Telefon nur für die Kommunikation mit Gemeindemitgliedern – auch anderer Colonies – und verwenden SMS.
Für die Mitglieder einer „Gmah“ wird gut gesorgt. Jedes Mädchen, jede Frau bekommt viermal pro Jahr Stoff für ein neues Gewand, die „huttrische Zier“, und eine kurzärmelige Bluse, die Männer und Buben karierte Stoffe für vier neue Hemden. Schwarze Hosen und ebensolche Hosenträger gibt es bei Bedarf immer.
Die Frauen nähen das Gewand selbst, auch die Blusen und Hemden, das schwarze „Tiechl“, das obligatorisch getragen wird, und die „Mitz“ (Mütze) für die kleinen und jüngeren Mädchen, teilweise sogar noch die Unterwäsche. So mancher Prediger ist stolz darauf, dass seine Frau auch die schwarze Sonntagshose und das „Predigerröckl“ selbst näht. Die meisten Frauen nähen gut und auch sehr gern. Das Quilten ist auch noch ein Thema, denn vor allem bei Hochzeiten bekommt das Ehepaar gerne einen Quilt von der Familie als Geschenk. Auch das Häkeln von Hauspatschen und Teppichen, den „rugs“, ist beliebt. Die Frauen besuchen zu diesem Zweck „Thriftstores“ (Secondhand-Läden), wo sie ganz billig Pullover, Wollschals etc. erstehen, diese zu Hause auftrennen und wieder verarbeiten. Das Auftrennen und das Aufwickeln in riesengroße Knäuel erfolgt oft durch die alten „Baseln“ oder „Ankelas“, denen man so Arbeit verschafft und die das auch sehr gerne machen. Man sieht selten Hutterer Frauen untätig herumsitzen.
Der Freitag ist der allgemeine Putztag. Da wird von den Frauen das Haus geputzt, die Fliesenböden meist auf Knien mit einer Bürste oder einem Wischlappen geschrubbt, Staubsauger habe ich in keiner Familie gesehen.
Während der Woche bekommt jede Familie einen Waschtag zugewiesen, wo in großen, modernen Maschinen im „Waschhäusl“ die Wäsche gewaschen und getrocknet wird. Bügeleisen braucht es nicht unbedingt, die Stoffe sind alle knitterfrei.
In manchen Colonies kann man an den Zehen der jüngeren Frauen Nagellack oder an einem Finger schmale Ringe entdecken, aber in anderen Gemeinden wird das als zu „stulz“ eingestuft und nicht geduldet.
Die heiratsfähigen Mitglieder eines Hofes lernen sich bei gegenseitigen Besuchen kennen, bei diversen musikalischen Veranstaltungen (Hutterer singen sehr gern und sehr gut), bei Bible Camps oder Verwandtenbesuchen in anderen Colonies. Innerhalb der eigenen Gemeinde wird selten bis gar nie geheiratet, man achtet darauf, dass die Verwandtschaft nicht zu eng ist.
Das Mädchen, das heiratet, verlässt die Colony und zieht zu ihrem Mann, der ja als Arbeitskraft gebraucht wird und nicht abwandert. Heiraten darf aber erst, wer vorher getauft wurde. Die Taufe findet einmal im Jahr zu Ostern statt, ebenso das Abendmahl. Getauft werden Mitglieder der Kolonie meist zwischen dem 21. und 26. Lebensjahr. Ohne Taufe ist man kein Mitglied der Huttrischen Kirche, sondern nur ein Mitglied der Colony.
Eine Woche vor der Hochzeit findet die „Hulba“ statt, eine Art offizielle Verlobung, an der die ganze Colony teilnimmt, eigentlich auch die Verabschiedung der Braut. Die Verlobungszeit ist deswegen so kurz, weil man die zukünftigen Eheleute nicht so lange warten lassen will, bis sie heiraten dürfen. Die eigentliche Hochzeit findet meist in der Colony des Ehemannes statt, traditionell tragen die Frauen ein langes, blaues zweiteiliges Kleid. Die Hochzeit ist ein riesiges Fest mit vielen Verwandten aus den verschiedensten Höfen und mit tagelangen Vorbereitungen für das reichhaltige Essen. Früher trugen nur verheiratete Männer einen Bart, heute jeder, der möchte.
Schwangere Frauen arbeiten bis zur Geburt des Kindes mit, vielleicht nicht immer so intensiv, aber doch.
Hat ein „Weib“ (gebräuchlicher Ausdruck für Frauen) ein Kind zur Welt gebracht (meist im nächstgelegenen Krankenhaus, aber auch außerhalb der Gemeinde privat mit einer Hebamme, selten in der Colony selbst), bekommt sie für die ersten acht bis 13 Wochen eine „Sorgela“ zur Seite gestellt, die ihr hilft, mit der neuen Situation umzugehen. Sehr oft reist die eigene Mutter aus einem anderen Hof an, zumindest für die erste Zeit, dann sind es auch Schwestern oder andere nächste Verwandte. Über die Geburt selbst wird nicht sehr gern gesprochen, da hält man sich lieber bedeckt, genauso wie über den Zeitpunkt der Geburt. Die junge Mutter bekommt viele Besuche und Geschenke. Und die „Ankela“ (Großmutter) und der „Olvetter“ (Großvater) haben wieder ein neues „Anekle“ (Enkelkind) bekommen.
Die Kinder bleiben ungefähr bis zum 2. oder 3. Lebensjahr bei der Mutter und haben ein anderes Kind, das auf sie aufpasst, wenn die Eltern zum Essen gehen. Werden die Kleinen zu Hause gefüttert, werden schon die Händchen der Kinder zum Gebet gefaltet mit den Worten: „Tua betn!“
Mehrteiliger Beitrag
- Leben in einer Hutterer Colony (1): Ein Tag in einer Hutterer Colony
- Leben in einer Hutterer Colony (3): "Klane Schul", "Deitsche Schul" und wie alte Menschen gut umsorgt werden
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