Herausforderung Unterricht im pädagogischen Alltag

Ein Dialog mit Eva Niederegger und Josef Pallhuber über die Möglichkeit der Entschleunigung im pädagogischen Alltag. Ein Gespräch darüber, wie das Profil der Lehrerinnen und Lehrer geschärft werden kann, über eine intakte Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden sowie über Wertschätzung und Achtsamkeit im pädagogischen Alltag.

Eva:
Der pädagogische Alltag ist herausfordernd, diese Tatsache ist Fakt. Das geschulte Auge der Lehrenden ist darauf trainiert, das gesamte Unterrichtsgeschehen im Blick zu haben, um jederzeit angemessen auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler*innen reagieren zu können. Ein attraktiver, differenzierter, fachlich fundierter Unterricht muss gewährleistet werden, abwechslungsreiche Lernarrangements und ein gesundes Maß an Herausforderung stets spürbar sein. In diesem Spannungsfeld sollte das Wesentliche, das, was bestmöglichen Unterricht ausmacht sowie der Blick auf das kompetente Kind in seiner Ganzheit im Zentrum stehen. Welche Freiräume, welche Möglichkeiten der Entschleunigung gibt es deiner Meinung nach, um die vielfältigen Herausforderungen zu meistern?

Josef:
Die Diskussion um den bestmöglichen Unterricht gibt es, denk ich, schon so lange, wie es die Schule gibt…(lacht)
Ja, der pädagogische Alltag ist anstrengend, manchmal mühsam, doch zum überwiegenden Teil freudvoll und mutmachend. Um dieses erwähnte Anstrengende und Mühsame Schritt für Schritt aus Klassenzimmer und Schule zu verbannen, gibt es sicherlich kein Patentrezept. Es gibt jedoch Ansätze, die Lehrer:innen beachten können.
Die Entschleunigung ist sicher ein wesentlicher Teil, der hilft, den Unterricht für die Schüler*innen weitaus wirksamer werden zu lassen. Halten wir den Unterricht einfach, überschaubar und für alle Schüler*innen nachvollziehbar.
Ich erwähne ganz bewusst den klassischen Lehrer*innenvortrag, der immer noch große Bedeutung hat. In Maßen als Input eingesetzt, wenn er noch dazu lebendig und humorvoll umgesetzt wird, ist er ein Highlight für die Schüler*innen.
Für Übungsphasen, denen meines Erachtens im Schulalltag noch viel zu wenig Beachtung geschenkt wird, bieten sich Einzel- und Teamarbeiten an, in denen sich Schüler*innen selbst organisieren und sich selbständig mit den Aufgaben auseinandersetzen. Ein guter Teil des Lernens wird oft im klassischen Unterricht ausgelagert.
Stichwort Hausübungen, die, wenn sie erledigt werden, immer noch sehr negativ besetzt sind, weil sie ganz einfach in harter Konkurrenz zur Freizeit stehen. So findet ein bestimmter Teil dieses ausgelagerten Lernens eben gar nicht statt. Diese Reduktion des außerschulischen Lernens würde viel Stress vermeiden und „Lernen“ eben entschleunigen.

Zwei alte, rote, teilweise rostige Drehventile

Eva:
Seit dem Schuljahr 2023/24 fokussiert die Bildungsdirektion Südtirol das Ziel, die Kernaufgabe „Unterricht“ wieder ins Zentrum der Bildungsarbeit zu
rücken. In den letzten Jahren wurden vermehrt Erwartungen und Themen von außen an die Schule herangetragen, welche die Bildungsinstitutionen überlagert haben. Ein guter Unterricht stellt das Kind und den Jugendlichen als freie, selbständige Persönlichkeit, welche den Lernprozess mitverantwortet und reflektiert, in den Mittelpunkt. So kann man es im Bezugsrahmen, welcher an allen Schulen sichtbar aushängt, nachlesen. Worauf gilt es zu achten, damit dies in allen Schulstufen Fuß fasst?

Josef: 
Ich denke, dass diese verschiedensten Erwartungen und Themen, die du ansprichst, gut dosiert auch im Unterricht Platz haben. Gesellschaftspolitische und weltanschauliche Themen und eine diesbezügliche Sensibilisierung der Schüler*innen gehören selbstverständlich auch in den Unterricht. Gerade hier wird Schule und Unterricht lebendig und ist ganz nah an der Lebenswirklichkeit der Schüler*innen. Es ist eine große Herausforderung für die Lehrpersonen, sich dieser (Lebens-) Welt der Kinder und Jugendlichen anzunähern. Die Lehrer*innen müssen ja nicht alles wissen (lacht), aber sie geben einen geschützten Rahmen für lebendige Diskussionen und verschiedenste Anschauungen. Nehmen wir uns doch die Freiheit, als Pädagoginnen und Pädagogen zu spüren, was die Schüler*innen in einer Klasse, in einer Gruppe gerade beschäftigt. Dann wird auch das Potenzial sichtbar und die Schule wird ein Ort, in der alle darin tätigen Menschen gesehen werden. Dann brauche ich guten Unterricht wahrscheinlich nie mehr definieren. Bildung braucht eben Zeit, Raum und altersadäquate Themen. Wir haben in der Schule von allem genug davon. Worauf legen wir den Fokus?

Bildung braucht eben Zeit, Raum und altersadäquate Themen.

Eva:
Ein Thema in deiner Funktion als Schulqualitätsmanager ist unter anderem das Sichtbarmachen von Ursachen und mögliche Intervention bei Stö-rungen im Unterricht. Welche Sofortmaßnahmen oder Hilfestellungen kannst du Lehrpersonen mit auf den Weg geben, wenn die Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung auf dem Prüfstand steht?

Josef:
Das ist wohl die schwierigste Frage, die du mir stellen kannst. Intervenieren bei problematisch werdenden Beziehungen zwischen Lehrpersonen und einem oder mehreren Schüler*innen, ist wohl die pädagogisch intensivste Arbeit. Bei hitzigen oder aggressiven Auseinandersetzungen, sollten sie unbedingt auf Deeskalation setzen. Langsame Bewegungen, eine ruhige Stimme können oft Wunder bewirken. Wenn die Möglichkeit besteht, versucht die Lehrperson den*die Schüler*in beiseite zu nehmen, die Situation jedenfalls nicht öffentlich vor der Klasse auszutragen. Eine Begegnung auf Augenhöhe, im wahrsten Sinn des Wortes, und das Sprechen in der nötigen Distanz ist unverzichtbar. Diesbezüglich ist aber jede Situation individuell zu sehen. Patentrezepte wird es dafür nie geben.

Zwei Räder einer alten Maschine sind mit einer Kette verbunden.

Eva:
Führung durch Wertschätzung und Achtsamkeit im schulischen Kontext ist ein weiteres Thema, mit dem du dich beschäftigst. Der Begriff Wertschätzung, so scheint es, ist in den letzten Jahren verstärkt in das Bewusstsein gerückt, manchmal wird er beinahe inflationär verwendet. Lehrpersonen fordern schon lange eine wertschätzende Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, in den Medien, bei den Eltern und nicht zuletzt in der Politik. Wie siehst du die Entwicklung hierbei und wo und wie kann Wertschätzung und Achtsamkeit in der Leitung von Teams, Kollegien, Arbeitsgruppen sichtbar gemacht werden und authentisch wachsen?

Josef:
Du hast recht, dass Wertschätzung und Achtsamkeit in der Führung zur Mode geworden sind. Unzählige Seminare, Workshops und Fortbildungen für Führungspersonen, zu denen auch die Lehrpersonen gehören, werden diesbezüglich angeboten und es wird auch viel Geld damit verdient.
Die Forderung nach einer allgemein höheren und pauschalen Wertschätzung in der Öffentlichkeit durch Medien, Politik, usw. mag uns eventuell kurzfristig guttun, hilft uns aber kaum in unserem dauernden Wohlbefinden. Sinnstiftende Wertschätzung und Achtsamkeit ist dafür zu individuell und passiert ausnahmslos zwischenmenschlich. Ich erwähne in diesem Zusammenhang das aktive Zuhören ohne zu diskutieren, das Sehen von Leistungen ohne zu bewerten, das Anbieten von konkreter Unterstützung ohne allgemeine Floskeln etc.

Achtsam und wertschätzend bin ich, wenn ich mich von Bewertungen verabschiede und den Menschen mir gegenüber „sehe“, seine Leistung „sehe“, es bewusst erwähne und diese Person somit in all seinem „Mensch-Sein“ wahrnehme. Dies gilt übrigens auf allen Ebenen in der Schule.
In der Leitung sehe ich diese Haltung unverzichtbar, um den Menschen in seiner Selbstwertschätzung zu stärken. Somit ergeben sich spürbare Veränderungen im Umgang untereinander, und schließlich wirkt es bis zu den Schüler*innen in den Klassenzimmern.

Den Menschen in seiner Selbstwertschätzung stärken.

Eva:
Als Vorsitzender des Tiroler Lehrervereins k+lv und Obmann der CLÖ, der Dachorganisation der Landeslehrervereine Österreichs, setzt du dich gemeinsam mit deinen Teams intensiv mit den Bedürfnissen der Lehrpersonen auseinander und setzt dabei Zeichen. Welche Themen stehen im Vordergrund, wo könnt ihr für die Berufsgruppe Unterstützung bieten?

Josef:
Hier darf ich die Aufgaben scharf trennen. In der Christlichen Lehrerschaft sind wir als Dachorganisation unseren katholischen und christlichen Lehrervereinen verpflichtet und kümmern uns um deren Vernetzung und den Austausch. Ich möchte diese Gemeinschaft fördern, so, dass wir voneinander wissen und unsere täglichen Herausforderungen in den Vereinen, die in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich sind, miteinander diskutieren. So schaffen wir eine Zusammengehörigkeit, die nur wertvoll sein kann.

Im k+lv, dem Katholischen Tiroler Lehrerverein sind wir ganz nah an den Pädagoginnen und Pädagogen. Wir bieten Fortbildungen, Praktisches, Tipps und Tricks rund um die konkrete Berufsausübung. Wir kümmern uns um das persönlich-zwischenmenschliche Wachstum und um's Herz. Wir sind überzeugt, dass es da noch mehr gibt zwischen Erde und Himmel, und feiern das Leben als Geschenk Gottes.

Stromleitungen führen zu drei Strommasten hin, die in einiger Entfernung stehen. Im Bild links geht die Sonne. Die Farben des Bildes: die Wiese wirkt graugrün. Der Horizont rot und der Himmel dunkelblau.

Eva:
 „Gemeinsam wachsen - in die Zukunft begleiten“, ist das Thema, mit welchem sich der KSL in den nächsten Jahren intensiv auseinandersetzen wird. In einer Zeit, in der das Bedürfnis nach individueller Entfaltung sowie der Wunsch nach Verwirklichung persönlicher Vorstellungen und die Durchsetzung eigener Meinungen oft vor Kompromissbereitschaft stehen, wollen wir mit unserem Thema zum Nachdenken anregen.
Individuelle Entfaltung kann nur dann gelingen, wenn Kooperation authentisch gelebt wird. Ein vereintes Bestreben, Schule und Kindergarten in eine gute Zukunft zu begleiten, sollte unser aller Antrieb sein. Welche Impulse kannst du uns im KSL dazu mit auf den Weg geben?

Josef:
Ich denke, gerade in der von dir angesprochenen Zeit der Verwirklichung eigener Vorstellungen, sowie der Durchsetzung eigener Meinungen, die über dem Kompromiss stehen, ist das „Dran-Bleiben“ an unseren Zielen, Themen und Visionen ein wichtiges Thema. Das ist genau das, was uns, den KSL und den k+lv stärkt und unverwechselbar macht.

Wenn wir gemeinsam vorleben, was uns wichtig ist, wird es wirken. Deshalb ist unsere verstärkte Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg so etwas Besonderes und letztendlich wird unsere Begleitung der Pädagoginnen und Pädagogen in Schule und Kindergarten unmittelbar spürbar.

Eva: 
Herzlichen Dank, bleiben wir im Dialog…
 

Josef Pallhuber
Josef Pallhuber

Josef Pallhuber (Jahrgang 1969) arbeitet als Schulqualitätsmanager an der Bildungsdirektion für Tirol. Er war acht Jahre in der Privatwirtschaft tätig. Nach dem Lehramtsstudium für Hauptschule und Polytechnische Schule unterrichtete er an der Hauptschule Kettenbrücke, war Mitarbeiter im Zentrum für Führungspersonen an der Pädagogischen Hochschule Tirol und anschließend zehn Jahre Direktor an der Sportmittelschule Reichenau in Innsbruck.

Eva  Niederegger
Eva Niederegger

Eva Niederegger ist Grundschullehrerin und Referentin für Deutschdidaktik in der Lehrer*innenausbildung in Südtirol, Vorsitzende des Katholischen Südtiroler Lehrerbundes (KSL)

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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