
Offenes, selbstbestimmtes Lernen ist in aller Munde. Dahingehend bietet die Methode des Projektlernens für die pädagogische Arbeit in allen möglichen Altersstufen spannende Umsetzungsmöglichkeiten. Bereits vor über 100 Jahren bezeichnet Dewey sie als eine Methode der bildenden Erfahrung (Giest 1994, S. 5). Offener Unterricht und Projektlernen „gelten als die populärsten Ansätze der Reformpädagogik“, postuliert Grünke bereits 2008 (S. 13).
Warum aber ist das Lernen an Projekten für alle Involvierten wert- und sinnvoll und welche Vorteile ergeben sich sowohl für Lernende als auch Lehrende? Im folgenden Text möchten wir uns u.a. diesen Aspekten zuwenden.
Optimalerweise geht die Initiative zum Start eines Projekts von den Kindern bzw. Schülerinnen und Schülern aus. Dadurch besteht automatisch von Beginn an eine hohe Motivation zur Problemlösung auf Seiten der Lernenden.
Möglichst nahe an der Realität - am Leben
Bei dem Zitat „Non vitae sed scholae discimus“ („Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“) handelt es sich um eine Umkehrung des geläufigen Sprichwortes „Für das Leben, nicht für die Schule lernen wir“ aus einem Brief von Lucius Annaeus Seneca an seinen Schüler Lucilius (epistulae morales ad Lucilium 106, 11–12, ca. 62 n. Chr.), in dem er Kritik an den römischen Philosophenschulen seiner Zeit äußert.
Projektunterricht steht für lebensnahes Lernen. Werden relevante Probleme aus der Lebenswelt der Kinder oder Jugendlichen aufgegriffen und im Unterricht zum Thema gemacht und wird das, was Schülerinnen und Schüler lernen, für sie selbst und ihre Umgebung sinntragend und sinnstiftend, dann wird´s richtig interessant. Ab dem Zeitpunkt, wenn junge Menschen realisieren, dass sie ernst genommen werden und sie gleichzeitig etwas mit ihrem Tun und ihrem Knowhow bewirken – zum Besseren verändern können – ab diesem Punkt passiert eigeninitiatives respektive intrinsisches Lernen. Plötzlich geht Lernen, sich in etwas vertiefen und sich einlesen, sich einarbeiten … wie von selbst und aus eigenem Antrieb. Lernen an Projekten kann äußerst inspirierend und motivierend sein. Wie jedoch lernt man im schulischen Konnex in bzw. an Projekten?
Projektlernen als Unterrichtsform
Die Grundintention von Projektunterricht ist Folgende:
„Projektunterricht ist eine Form des Unterrichts. Im Mittelpunkt steht hier eine praktische Problemstellung aus der Lebenswelt der Kinder, die in seinem Rahmen behandelt wird. Das wichtigste Ziel des Projektunterrichts besteht darin, Leben und Lernen so miteinander zu verbinden, daß die Kinder erleben, wie systematisches Lernen hilft, Probleme des Lebens zu bewältigen. Das Lernen liefert die Mittel, um das Leben besser meistern zu können – auf diese Weise wird Kindern erlebbar gemacht, daß sie tatsächlich nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen“ (Giest 1994, S. 18; [Hervorhebung im Original]).
Die Bewältigung eines Problems zählt bereits seit jeher „zu den ursprünglichen Merkmalen des Projektgedankens“ (Kaiser 2011, S. 1) und der Ansatz ging ursprünglich nicht aus dem pädagogischen Kontext hervor, sondern kam in der Ausbildung von Architekten im Italien des 16. Jahrhunderts auf (Pietsch in Kaiser 2011, S. 1).

Zur Interdisziplinarität von Projekten
Warum ist Unterricht in Fächer unterteilt, wenn doch unser tägliches Leben konträr dazu von Interdisziplinarität geprägt ist?
Ein lebenspraktisches Beispiel verdeutlicht dies auf anschauliche Weise: Gehen wir etwa einkaufen, sollten wir genügend Geld in der Tasche haben. Zudem müssen wir die Preise lesen, sie vergleichen und die Beträge zusammenzählen können, um dann wiederum der Person an der Kassa den richtigen Betrag auszuhändigen; wir sollten das Restgeld, das wir zurückbekommen, abschätzen und zählen können …
All das setzt mathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten voraus. Im Geschäft geht es ferner darum abzuschätzen, was gerade regional wächst, um nachhaltig einzukaufen. Hierfür benötigen wir Wissen aus dem Bereich des Sachunterrichts, um es mit einem Terminus aus dem Primarbereich zu benennen. Außerdem müssen wir die Schrift auf den Produkten lesen können. Wir benötigen somit auch aus dem Fach Deutsch, Lesen, Schreiben spezifische Basiskompetenzen. Das banale Beispiel eines Supermarktbesuchs zeigt, dass unsere Welt nach einem interdisziplinären Blick verlangt. Eine ebensolche fächerübergreifende Herangehensweise ist projektinhärent. Interdisziplinarität ist notwendig, denn „Projekte aus der Lebenswirklichkeit können nicht anders bearbeitet werden als interdisziplinär, weil die Lebenswirklichkeit immer einen ganzheitlichen Charakter trägt“ (Giest 1994, S. 12).
Hierin liegt laut Giest (1994) einerseits der große Vorteil gegenüber traditionellen Unterrichtsmethoden, welche vorrangig an der Vermittlung von Wissen orientiert sind. Andererseits betont er die Schwierigkeit im schulischen Kontext, dass jene Lehrperson, welche das Projekt leitet, ein Allround-Talent sein muss und, dass auf sie ein erhöhter Aufwand im Sinne einer fächerübergreifenden Planung und in Bezug auf Knowhow zukommt. Giest empfiehlt in diesem Konnex klassenübergreifende Kooperationen sowie Teamteaching, aber auch die Öffnung der Schule nach außen im Zuge einer Einbeziehung außerschulischer Lernorte und zudem das Involvieren von Fachleuten ( S. 12).
Lernen auf Augenhöhe und Demokratisierung als Leitgedanke
Eine Person kann nicht alles wissen, dies ist kein Geheimnis. Umso wichtiger erscheint die eben erwähnte Öffnung nach außen. Im Nexus eines Projekts soll jedoch nicht der/die Projektleiter*in das alleinige Sagen haben, sondern alle Beteiligten sollten im Zuge demokratisch angelegter Lernformen selbsttätig und gleichberechtigt ins Tun kommen. Aus diesem Grund ist es jedoch unbedingt notwendig, schon von Beginn an Erwartungshaltungen zu erfragen, die die Einzelnen Beteiligten hegen. Im Laufe des Projekts sollte die Teilnehmer*innen-Zufriedenheit immer wieder eruiert werden.
Wie Lernende von einem Schritt zurück seitens der*des Lehrenden profitieren
In der Literatur ist im Kontext von Projektunterricht von selbstbestimmtem (Giest 1994, S. 10), selbstgesteuertem (u.a. Grünke 2008; Traub 2011), selbstreguliertem und selbstorganisiertem (Oelkers 2012) sowie kooperativem Lernen (u.a. Terhart 2002) die Rede. Die Lernenden werden dabei jedoch nicht völlig sich selbst über- oder allein gelassen, sondern werden in professioneller Weise in ihrem Tun unterstützt und begleitet.
Der*Die Lehrer*in nimmt sich zurück, gibt Verantwortung ab und wird vom primär Darbietenden zum „Organisator des Unterrichts und Förderer des Lernens“ (Traub 2011, S. 96). Dies setzt einen Vertrauensvorschuss seitens des*der Lehrenden voraus, indem davon ausgegangen wird, dass die Lernenden nach klarer und verständlicher Aufgabenverteilung sowie Besprechung und Vereinbarung einzelner Teilziele gewissenhaft am Projektthema arbeiten werden, auch wenn oder gerade weil diese selbstreguliert und selbstorganisiert tätig werden. Voraussetzung hierfür ist, „dass ein gewisser Spielraum für autonome Entscheidungen vorhanden sein muss“ (Traub 2011, S. 94). In diesem Zusammenhang unterstreicht Traub (2011) die „Kontrolle des Lernprozesses, der Lerninhalte oder der Lernsituationen“ ( S. 95) seitens der Lernenden. Bereits junge Lernende sind in der Lage, „Wissen [zu] vernetzen, ihr Vorwissen ab[zu]rufen, Zusammenhänge her[zu]stellen und an Vorerfahrungen an[zu]knüpfen“ (ebd., S. 96). Im Idealfall sind sie motiviert, „verfügen über geeignete Lernstrategien und nutzen die eigenen methodischen Kompetenzen und arbeiten zielorientiert“ (ebd., S. 97). Erwiesenermaßen hat im Projekt Erlerntes Bedeutungsgehalt und ist langfristig abrufbar.
Außerdem wird selbst generiertes Wissen besser erinnert als vorgegebenes, so Grünke (2008, S. 23) oder wie der chinesische Philosoph Konfuzius bereits sagte: „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“
Der chinesische Philosoph Konfuzius sagte bereits: „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“
Institutionen- und generationenübergreifende Projekte verbinden Menschen, indem sie den Austausch zwischen Älteren und Jüngeren fokussieren bzw. befördern
Durch den perspektivischen Wechsel seitens der*des jeweiligen Lehrenden wird auch jene Person eine neue Sicht auf die Thematik erhalten. Denn in Hinblick auf Kommunikation und Kooperation in Bezug auf die Beteiligten im System Schule wissen wir: „Die Personen sind in die Umgebung involviert und unterstützen sich (Anm. bestenfalls) wechselseitig. Es besteht eine persönliche Beziehung zwischen den Lernenden. Gedanken und Erkenntnisse werden miteinander geteilt, die Viabilität der Ideen diskutiert“ (Traub 2011, S. 96). Schüler*innen, Lehrer*innen und Hochschulprofessor*innen stehen im Idealfall auf einer Stufe und lernen auf Augenhöhe gemeinsam mit- und voneinander.
Enorm bereichernd für alle Beteiligten ist eine fächer-, klassen- aber auch institutionenübergreifende Herangehensweise, wie dies beispielsweise bei Projekten der Fall ist, bei welchen Universitäten und Hochschulen mit elementarpädagogischen Einrichtungen und Schulen für unterschiedlichste Altersstufen zusammenarbeiten und die jeweiligen Inhalte an die Zielgruppen angepasst werden.
Wagen wir es …
Ein Projekt ist immer ein „vorausgeworfenes Wagnis“, als das Diem-Wille (2011) es bezeichnet. Ein solches kann grundsätzlich auch andere als die vorab angenommenen Ergebnisse oder Erfolge erzielen. Zu bedenken ist, dass es sich bei einem Projekt im schulischen Konnex um eine Initiative von Lehrenden und Lernenden handelt, die die eigene Sache schlussendlich auch verantworten müssen. Im Zuge der unterschiedlichen Möglichkeiten einer Durchführung kann es zu unkalkulierbaren Schwierigkeiten oder Problemen kommen, welche einerseits Phantasie und Kreativität, aber auch Mut und Kooperation erfordern, oder aber vielleicht – andererseits und demgegenüber konträr – nach einer vernünftigen Zurücknahme verlangen (Diem-Wille 2011, zit. nach Kaiser 2011, S. 4). In jedem Fall, so Diem-Wille weiter, ist „die Offenheit des Ausgangs, der wie nichts anderes in der Schule an das Leben“ erinnert, probleminhärent.
Es kann also durchaus sein, dass im Zuge eines Projekts nicht alle Annahmen Bestätigung finden, dieses aber abschließend dennoch nicht als gescheitert bezeichnet werden kann. Das Gegenteil ist der Fall: Im Zuge des Projektlernens ist wie so oft der Weg das Ziel und auf diesem Weg können neue Erkenntnisse in vielfacher Hinsicht erworben werden; alle Beteiligten werden enorm davon profitieren und viel Neues erlernen.
Literatur
Diem-Wille, Gertraud: Die Lehrer-Schüler-Relation im Projektunterricht. In: Erziehung und Unterricht 132 (6), S. 470-478, (1982). In: Kaiser, Astrid: Praxisbuch Grundschulprojekte. Basiswissen Grundschule. Band 27 Hohengehren: Schneider Verlag (2011)
Giest, Hartmut: Projektarbeit. Ansätze für einen fächerübergreifenden Unterricht in der Grundschule. Berlin: Volk und Wissen Verlag (1994).
Grünke, Matthias: Offener Unterricht und Projektunterricht. In: Fingerle, Michael / Ellinger, Stephan (Hrsg.): Sonderpädagogische Förderprogramme im Vergleich. Orientierungshilfen für die Praxis. (2008) S. 13-33.
Kaiser, Astrid: Praxisbuch Grundschulprojekte. Basiswissen Grundschule. Band 27 Hohengehren: Schneider Verlag (2011).
Oelkers, Jürgen: Möglichkeiten und Grenzen selbstregulierten Lernens in der Schule. Vortrag in der Schule Moosseedorf am 15. Oktober 2012, https://www.ife.uzh.ch/dam/jcr:00000000-4a53-efcc-ffff-ffffe481dcf0/Moosseedorf.pdf, S. 1-23.
Pietsch, Elisabeth: Der Projektgedanke im Geschichtsunterricht. München und Ravensburg: Grin Verlag (2009) In: Kaiser, Astrid: Praxisbuch Grundschulprojekte. Basiswissen Grundschule. Band 27 Hohengehren: Schneider Verlag (2011).
Traub, Silke: Selbstgesteuert lernen im Projekt? Anspruch an Projektunterricht und dessen
Bewertung aus Sicht von Lehrenden und Lernenden. In: Zeitschrift für Pädagogik 57 (2011) 1, S. 93-113.
Terhart, Ewald: Nach PISA. Bildungsqualität entwickeln. Hamburg: Europäische Verlagsgesellschaft (2002).
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