Lehrerin sein - damals. Erinnerungen an die ersten Berufsjahre

Ein sehr liebevolles Gespräch mit vielen Erinnerungen an das Lehrer*innen-sein zwischen Richard Kleissner, dem Geschäftsführer des Katholischen Familienverbands, und seiner Mama Ilse, die viele Jahre Lehrerin war. In dem Gespräch erzählt Ilse Kleissner von ihren ersten Dienstjahren als Lehrerin in Pill, am Pillberg und im Zillertal. Die erzählten Ereignisse spielen wohl zu Beginn der 1950er Jahre. 

Richard Kleissner: Das ist Ilse, meine Mutter. Sie ist 96 Jahre alt. Sie war Lehrerin und hat mit 21 Jahren in Pill und am Pillberg unterrichtet. Bitte erzähle uns, wie das damals war!

Ilse Kleissner: Ich habe zuerst in Pill Schule gehalten. Die Schülerinnen und Schüler vom Unterpillberg kamen nach Pill ins Dorf in die Schule. Dort unterrichtete ich nachmittags, weil der Lehrer am Nachmittag mit seiner Frau spazieren gehen wollte. Nachmittags bekam ich oft müde Kinder zum Unterrichten.

Dann kam der Schulinspektor und sagte mir, ich solle in die Schule am Hochpillberg gehen. Dort war nur eine einklassige Volksschule, und es gab dort keine Lehrerin. Dort sollte ich sieben Klassen in „Handarbeit“ unterrichten. „Das kann ich nicht“, musste ich ihm antworten, „weil ich am Nachmittag immer Schule habe.“ Als der Inspektor das hörte, beschloss er: „So geht das nicht. Dann müsst ihr teilen: Drei Tage der Oberlehrer am Vormittag und drei Tage du.“ Danach gab es eine Lösung mit mir. Da hatten sie nicht viel Freude, aber so war es eben. Insgesamt war ich sechs Jahre oben an der Schule.

Richard Kleissner: Ich kann mich erinnern, dass du mit dem ersten Gehalt ein Fahrrad gekauft hast.

Ilse: Ja, ja … und dann eine Uhr.

Richard: Bist du dann jeden Tag mit dem Fahrrad von Schwaz nach Pill gefahren?

Ilse: Jeden Tag bin ich von Schwaz nach Pill und wieder zurück gefahren.

Richard: Und später bist du zu Fuß zur Schule am Pillberg gegangen.

Ilse: Ja. Zwei Stunden bin ich zu Fuß auf den Pillberg hinaufgegangen – die ganze Schulgemeinschaft mit mir. Beim Gehen freute ich mich immer auf eine kurze Erholung, aber die Schülerinnen und Schüler wollten mir oft wichtige Dinge zeigen, wie die Fuchshöhlen. Das war schon nett, aber auch anstrengend.

Ja. Zwei Stunden bin ich zu Fuß auf den Pillberg hinaufgegangen – die ganze Schulgemeinschaft mit mir.

Danach bekam ich eine Stelle im Zillertal. Im Zillertal kann man es sich kaum vorstellen: Die Klasse war in einem ganz normalen kleinen Zimmer. Die Kinder mussten zu dritt in einer Bank sitzen. Ein Fenster ging in den Schweinestall. Ehrlich gesagt war ich neidisch auf die Schweinehirtin, die draußen sein durfte.

Bis eines Tages meine Mutter sagte: „So geht das nicht weiter. Du siehst so schlecht aus. Du musst etwas unternehmen.“ Denn ich hatte ja am Vormittag und Nachmittag unterrichtet. „Ich gehe zum Inspektor, dann kläre ich das“, hat meine Mutter zu mir gesagt. Natürlich wollte ich nicht, dass meine Mutter für mich spricht, deshalb ging ich selbst zum Inspektor. Der Inspektor beschloss kurzerhand, dass ich nur noch am Vormittag unterrichte. Ich fuhr täglich 11 Kilometer nach Schlitters und 11 Kilometer wieder zurück.

Ich überlegte mir, dass es auch mal nett sein könnte, in der Nähe der Schule zu wohnen, und suchte mir im Winter ein Zimmer. Doch es war gar nicht fein: Der Boden knarrte, den Tee musste ich mir selbst kochen. Deshalb fuhr ich im Winter lieber täglich mit der Zillertalbahn zur Schule.

Das sind wichtige Erinnerungen ...

Richard: Und wie war es mit dem Seppal?

Ilse (lacht): Ich hatte natürlich Familien, die 13 Kinder hatten. Eine Familie war gut in Deutsch, die andere gut in Rechnen. Im Laufe der Zeit wusste ich, wo ich ansetzen musste. Seppal war aus so einer Familie. Er war etwas linkisch und tat sich schwer, doch er war ein netter Bub. Einmal kam er zu mir und zeigte mir seine ordentlich gemachte Hausübung. Da fragte ich: „Seppal, wer hat dir denn geholfen?“ Lange hat er mich angesehen und ganz andächtig gesagt: „Die Muatta!“

Richard: Und wie war es mit der Ziege in der Klasse?

Ilse (lächelt erneut): Ich habe den Kindern in Pill erklärt, dass wir die Tiere kennenlernen und den Ziegenbock erforschen würden. Das war wichtig, damit sie Bescheid wussten, wie die Tiere funktionieren.

Mei, es war unbeschreiblich, wie es in der Klasse gestunken hat. Es hat „gebockalet.“

Richard: War da wirklich ein echter Ziegenbock in der Klasse? Hat ein Schüler das Tier mitgebracht?

Ilse: Ja, und mit welcher Freude hat der Junge das Tier mitgebracht. Ich war schon froh, als der Ziegenbock wieder draußen war.

Richard: Ich kann mir vorstellen, dass es bei 43 Schülerinnen und Schülern auch manchmal gerochen hat.

Ilse: Die Kinder kamen oft früher in die Schule, weil sie zuhause die Ställe ausmisten mussten. Sie wussten, dass ich mich vor Unterrichtsbeginn vorbereite. Viele Schülerinnen und Schüler waren bereits ab 7:00 Uhr da. Nach einer Stunde roch es im Klassenzimmer oft wie im Stall.

Richard: Danke, Mama, für deine Erzählungen!
 

Ilse Kleissner war von 1948 bis 1955 Volksschullehrerin in Pill und Pillberg. (c) Foto: Chronik Pill
Ein Blick auf die Kapelle Maria vom Siege am Pillberg und rechts daneben die Volksschule Pillberg. (c) Foto: Chronik Pill
Als Lehrerin war Ilse Kleissner bei wichtigen Ereignissen im Dorf immer dabei. Hier bei der Erstkommunion 1953.

Ilse Kleissner erzählt

Ilse Kleissner erzählt ihre Erlebnisse ihre Erlebnisse ihrem Sohn Richard von ihren ersten Dienstjahren als Lehrerin. 
Hier gibt es das ganze Gespräch zum Nachschauen. 

Ilse Kleissner
Ilse Kleissner

Ilse Kleissner ist pensionierte Lehrerin. In ihren ersten Dienstjahren hatte sie ab 1948 in Pill, Pillberg und in Stumm im Zillertal in der Volksschule unterrichtet.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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