Musik steckt in uns allen!

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Musikpädagogen*innen erleben täglich Schulklassen mit einer Bandbreite von musikalischen Voraussetzungen und Talenten. Diese musikalische Heterogenität stellt Lehrpersonen immer wieder vor eine spannende Herausforderung:

Wie wecke ich als Musikpädagoge*in das musikalische Interesse der Schüler*innen? Woher kommt die unterschiedliche musikalische Begabung? Wie kann man als Musikpädagoge*in das musikalische Potenzial von Schüler*innen optimal fördern und fordern?

Der folgende Artikel wird diesen Fragen auf den Grund gehen und das angeführte Beispiel aus der Praxis zeigt, wie viel Freude gemeinsames Musizieren macht und wie viel Musikalität in uns allen steckt!

Musik steckt in uns allen. Sie ist ein Teil von uns. 
Musik, musizieren und tanzen können als urmenschliche Fähigkeiten bezeichnet werden, die in jeder Person stecken und tief verwurzelt sind. Alle Kulturen dieser Erde sind von Musik geprägt und erleben diese als identitätsstiftend und orientierend. Anhand von Musik lassen sich Gefühle ausdrücken und Stimmung(en) erzeugen. Musik dient als Kommunikationsmittel zwischen Menschen.
In Schulklassen kommt es allerdings immer wieder vor, dass Schüler*innen sich selbst als „unmusikalisch“ bezeichnen. Meine Erfahrungen als langjährige Musikpädagogin zeigen, dass jede Person musikalische Fähigkeiten in sich trägt, diese jedoch verschieden ausgeprägt sind.

Die Umgebung ist entscheidend!
Für den Begriff musikalische Begabung gibt es keine einheitliche, wissenschaftliche Definition. Die Arbeitsgruppe „Musikalische Begabung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Heiner Gembris am Institut für Begabungsforschung in der Musik an der Universität Paderborn beschreibt musikalische Begabung als „individuelles Potenzial, Musik emotional zu erleben, geistig zu verstehen und Musik (mit der eigenen Stimme oder einem Instrument) zu (re)produzieren“ (Gembris, 2014). Forschungsberichte der Hochschule Luzern zeigen, dass ein Zusammenspiel von biologischen Faktoren, das soziale Umfeld und Übung entscheidend für die musikalische Entwicklung und Entfaltung sind (Petersen, 2014, S. 7). Hohe musikalische Leistungen werden unter anderem mit einem frühen Zugang zur Musik und dem Musikunterricht sowie der Unterstützung durch Lehrpersonen und Erziehungsberechtigte erreicht. Bedeutsam ist zudem die intrinsische und extrinsische Motivation. Musikalisches Potenzial kann sich am besten in einer vielseitigen, anregenden und geförderten Umgebung entfalten. Dabei spielt das Alter keine Rolle, denn aktives Musizieren kann altersunabhängig passieren. 

Jede Person trägt musikalische Fähigkeiten in sich.

Gemeinschaft bringt Potenzial
Der Musikunterricht in der Schule bildet einen wesentlichen Baustein in der individuellen musikalischen Entwicklung. Doch welche Teilbereiche beinhaltet ein vielfältiger, anregender, zeitgemäßer Musikunterricht? Die Arbeitsgemeinschaft Österreich (kurz: ARGÖ, 2013, S. 12) hat den Musikunterricht der Sekundarstufe 1 in drei zentrale Handlungsfelder gegliedert: Singen & Musizieren, Hören & Erfassen, Tanzen & Bewegen. Im Mittelpunkt steht dabei „Musikalisches Handeln“. Schüler*innen haben anhand dieser drei dynamischen Handlungsfelder die Möglichkeit, sowohl ihre kommunikative, interkulturelle, personale und soziale Kompetenz als auch ihre Methodenkompetenz zu entfalten und zu optimieren. 

Der Musikunterricht bietet viele Gelegenheiten, dieses Konzept umzusetzen. Wie auch in anderen Bildungsbereichen ist es wichtig, dass musikalische Fähigkeiten erworben, angewandt, differenziert und anschließend vertieft werden. 

Gemeinsames Musizieren, Singen, Bewegen und Tanzen in der Klasse fördert das Wir-Gefühl und ist ein Gemeinschaftserlebnis.

Gemeinsames Musizieren, Singen, Bewegen und Tanzen in der Klasse fördert das Wir-Gefühl und ist ein Gemeinschaftserlebnis. Es ist eine Art, sich auszutauschen, aufeinander einzugehen, aufeinander zu hören und gemeinsam zu agieren. Soziale und sprachliche Barrieren werden dabei durchbrochen.

Es geht nicht ums Können, sondern ums Tun
Beim musikalischen Handeln steht laut Musiktherapeuten Wolfgang Bossinger nicht „Perfektion“ im Vordergrund, sondern vielmehr „das Miteinander und die Freude am Selbstausdruck“ (Bossinger, 2005). Gemeinsames Singen ist für ihn ein „soziales Instrument“, das jederzeit erlernt und praktiziert werden kann sowie heilende Kraft auf die körperliche und seelische Gesundheit des Menschen hat. Alexandra Krause erkennt im rhythmischen Arbeiten viele Möglichkeiten zur Potenzialentfaltung, da Schüler*innen lernen, sich „auf sich selbst und auf andere einzulassen“ (Krause, 2008, S. 9). Rhythmisches Arbeiten im Klassenverband kann schnell und einfach umgesetzt werden. Durch gleichzeitiges Bewegen, Spielen und Hören fördert es die Konzentration, Aufmerksamkeit und Koordination der Schüler*innen. Besonders wertvoll sind die integrativen Aspekte von rhythmischer Arbeit, da jegliche Hürden durchbrochen werden können. Wie schon beim Singen stärkt rhythmisches Musizieren die Verbundenheit innerhalb einer Gruppe und kann Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen zusammenbringen.
Meine Unterrichtserfahrung zeigt, dass Schüler*innen sehr motiviert auf unterschiedlichen Materialien und Gegenständen rhythmisch musizieren. Viele rhythmische Instrumente finden wir bereits in der Schultasche, wie z. B. Wasserflaschen, Stifte, Papier, Scheren, Lineale. Neben unserem Körper (Bodypercussion), Schlaginstrumenten (Trommeln, Klanghölzern, Glocken, Rasseln, Guiro, Cabasa, Trommeln aus Afrika, etc.), eignen sich viele Alltagsgegenstände (Becher, Kübel, PET-Flaschen, Sticks, Besen, Fliegenklatschen, etc.) hervorragend als Rhythmusinstrumente. Boomwhackers kombinieren Rhythmus mit Melodie und bringen musikalische Farbe in die Schulklasse. 
Im Vergleich zum Singen wagen sich Schüler*innen beim rhythmischen Musizieren eher zu improvisieren oder ein Solo zu spielen. Je früher sie damit in Berührung kommen, umso leichter ist der Zugang.

Unterricht soll „die Entwicklung der Potenziale von Kindern und Jugendlichen bestmöglich unterstützen.“ (National Center of Competence Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabtenforschung, 2020, S. 7). Tanz, Bewegung und Darstellung sind weitere aktive Bereiche des Musikunterrichts, um Schüler*innen musikalisch zu begeistern und anzuspornen. Hierbei lässt man sich mit dem eignen Körper auf die Musik ein, spürt sich bewusst und wird körperlich aktiv. „Das Entdecken von Bewegungsmöglichkeiten und das Sich-Ausdrücken“ sind für Claudia Behrens (2014, S. 11) beim Tanzen und Darstellen von größter Bedeutung. Das Zusammenspiel von Bewegung, Rhythmus und Koordination regt unsere Konzentration an. Vor allem aber macht tanzen Spaß und wirkt sich positiv auf unsere Grundstimmung aus. 
 

Das Zusammenspiel von Bewegung, Rhythmus und Koordination regt unsere Konzentration an. Vor allem aber macht tanzen Spaß und wirkt sich positiv auf unsere Grundstimmung aus.

Musik-Projekt: „We love our school!”
Einstieg dieses Musik-Projektes, das mit einer 1. Klasse (Inklusionsklasse) der Praxismittelschule der PH Tirol im Herbst 2021 einstudiert wurde, war das musikalische Erkunden von „Dingen aus der Schultasche“. Das Entdecken von unterschiedlichen Geräuschen, Klängen und Spielweisen von alltäglichen Werkzeugen der Schüler*innen, sprich Scheren, Wasserflaschen, Stifte, Papier, Lineal, etc. bildete die Motivationsphase. 
Nach der Experimentierphase wurden vier Rhythmen auf unterschiedlichen Schultaschen-Instrumenten im Klassenverband einstudiert. Ziel war es, diese vier Stimmen in vier Gruppen gleichzeitig zu spielen. Dafür wurden heterogene Rhythmusgruppen gebildet. 
Im nächsten Schritt wurde ein gemeinsames Klassen-Sprechstück getextet und einstudiert, welches als Intro unseres „Klassengrooves“ fungieren sollte. Bewegungen und Gesten, welche den Text untermalten, dienten als perfekte Merkhilfen, um diesen Sprechtext auswendig vorzutragen.
Zum Abschluss wurden Sprechtext, Bewegung und Rhythmus zusammengefügt und mehrmals geübt. Die Aufführung wurde schließlich gefilmt und auf der Schulhomepage der Praxismittelschule veröffentlicht. 

Musizieren lohnt sich!
Dieses Projekt zeigt, wie man Schüler*innen musikalisch begeistern kann. Das gemeinsame Musizieren im Unterricht erzeugt eine positive Stimmung und macht Spaß. Es trägt dazu bei, Grenzen zu überwinden und jedes Kind und jede*n Jugendliche*n mit einzubeziehen. 
Anhand musikalischer Projekte erwerben Schüler*innen essenzielle Kompetenzen, wie Rücksichtnahme, Zuverlässigkeit, Respekt oder Empathie. Das Selbstvertrauen wird ebenso gestärkt.
Gemeinsame Musikerlebnisse, wie zum Beispiel ein Video, eine Tonaufnahme oder ein Auftritt vor Publikum, sind nicht nur ein Booster für das eigene Selbstbewusstsein, sondern fördern die Klassen- und/oder Schulgemeinschaft.
Musikpädagogen*innen haben die bedeutende Aufgabe, die musikalische Neugierde der Schüler*innen zu wecken, damit diese ihre eigenen musikalischen Stärken entdecken und entfalten können. Denn in jedem von uns steckt Musik!
 

Anhand musikalischer Projekte erwerben Schüler*innen essenzielle Kompetenzen, wie Rücksichtnahme, Zuverlässigkeit, Respekt oder Empathie. Das Selbstvertrauen wird ebenso gestärkt.

Partiture: We love our school!

Partitur von "We love our school!"

Pattern: We love our School!

Patterns: We love our school!

Literaturangaben:

Behrens, C. (2014). Gestalten, Tanzen und Darstellen aus Schülerperspektive: eine empirische Studie aus handlungstheoretischer Sicht (Vol. 21). ATHENA-Verlag.

Bossinger, W. (2005). Die heilende Kraft des Singens. BoD

Gembris, H. (2014). Broschüre Musikalische Begabung fördern. Hinweise für Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen, Paderborn: Institut für Begabungsforschung in der Musik (IBFM) an der Universität Paderborn.

Krause, A. (2008). Kommt, macht einfach mit! Selbstbewusstsein und Konzentration durch Rhythmik und Musik. Freiburg: Herder.

National Center of Competence Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (2020). Wege in der Begabungsförderung. Eine Methodensammlung für die Praxis (3. Aufl.). Salzburg: Pädagogische Hochschule Salzburg Stefan Zweig

Petersen, S. (2014). Musikalische Begabungsförderung in der Zentralschweiz – Bestandsaufnahme und theoretische Grundlagen. Luzern: Hochschule Luzern

Tanja Strasser
Tanja Strasser MSc BEd

Tanja Strasser ist Musik- und Englischlehrerin an der Praxismittelschule der Pädagogischen Hochschule Tirol.

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