Josef, der stille Begleiter

Artikel vorlesen lassen (6+)

Jesus, Maria und Josef. Drei Namen und eine Geschichte, die allen bekannt ist.
Jesus und Maria sind eindeutig die Hauptdarsteller. Man hat auch den Eindruck, sie aus den Weihnachtserzählungen, den vielen Darstellungen aus den Krippenspielen und den Weihnachts- und Adventliedern gut zu kennen. 
Aber Josef, wie war er wohl?

Ich bin keine Theologin und maße ich mir auch keinen theologischen Blick auf Josef an. Ich bin Pädagogin und versuche mit der Frage „Wie würde ich mich fühlen, wenn …?“ mich in den Menschen hineinzufühlen und der oft für mich farblosen Figur des Josefs mehr Kontur und Farbe zu geben. 

Er hatte es sicher nicht immer leicht. Vielleicht war die Geschichte rund um seine Vaterschaft auch damals schon Gesprächsstoff in Nazareth. Maria, unverheiratet, bekommt ein Kind und er als ihr Verlobter scheint nicht der Vater zu sein.

Kaum zu glauben, dass Josef bei Maria bleibt und zu ihr steht. Ich frage mich oft, ob es damals in Nazareth viel Gerede gegeben hat und wie er wohl mit der Situation umgegangen ist. Vielleicht hat er gar nicht hingehört, vielleicht hat er einfach gespürt, dass seine Entscheidung richtig ist. 

Eine leere gerade Straße in einer kargen Gegend in Israel.

Aus dem Weihnachtsevangelium wissen wir, dass Josef für die Volkszählung von Nazareth nach Betlehem gehen musste. Google Maps zeigt uns heute drei verschiedene Wegvarianten und die kürzeste und direkteste Strecke mit 145 km an. Es ist schnell ausgerechnet, dass sich dieser Weg nicht an einem Tag ausgeht. Im Dezember ist es auch in Israel recht kalt und windig. Ich stelle mir vor, dass die Entscheidung sich mit einer hochschwangeren Frau auf den Weg zu machen, keine leichte war. Maria alleine zurück lassen, war offensichtlich keine Option für Josef.

Da, so scheint mir, hat Josef seine Rolle als verlässlicher und stiller Begleiter schon gefunden. In der Pädagogik kennen wir das Wort „Begleiter“ aus seinem Ursprung. Es leitet sich aus dem altgriechischen Wort „ho paidagogós“ ab. Das war der Sklave, der den Schüler zum Lehrer begleitete. So wie er Maria gut und sicher nach Betlehem gebracht hat, so hat er das Kind auf seinem Weg zum Erwachsenwerden begleitet.

Auch wenn es in der Weihnachtsgeschichte mit keinem Wort erwähnt wird: Eine Geburt ohne Hilfe in einem Stall, da war Josef als guter Begleiter sicher sehr gefordert. Und wie schön ist es dann im Matthäus-Evangelium zu erfahren, dass er es war, der dem Kind den Namen Jesus gegeben hat.

Ein Vater schaut sein neugeborenes Kind an und berührt mit seiner Stirn, die Stirn des Kindes. Im Hintergrund geht die Sonne hinter Palmen unter. Von den Figuren im Vordergrund sieht man die dunklen Umrisse.

Ob der echte Vater oder Stiefvater: In meiner Vorstellung hat Josef dem Kind von Anfang an seine Liebe geschenkt. Und ich stelle mir vor, dass es ihm ein Anliegen war, als der Erwachsene die Verantwortung für Beziehung und die Qualität der Beziehung zu übernehmen. Vielleicht war es eine Liebe, die von Tag zu Tag gewachsen ist, und in der Josef Schritt für Schritt in seine Aufgabe hineingefunden hat.
                                  
Die Rolle als Eltern oder als Pädagoge*in ist für uns ja auch nicht einfach vom Himmel gefallen. Wir alle mussten und müssen fast täglich an dieser Verantwortung wachsen. Manches ist in der Realität ganz anders als in unserer Vorstellung. Manches haben wir immer gesehen, spüren aber, dass es sich für uns selbst nicht richtig anfühlt. Alles ist im Wandel und wir müssen uns mitverändern. Je älter wir werden, desto mehr wertvolle Erfahrungen können wir in unseren „pädagogischen Rucksack“ füllen. Diese Erfahrungen sind manchmal hart und mit jeder Menge positiven und auch negativen Erkenntnissen erarbeitet.

Wenn ich mir Jesus als Kind vorstelle, dann habe ich sofort ein Bild von einem freiheitsliebenden Kind im Kopf. Als Vaterfigur wird Josef sehr viel Zeit mit Jesus verbracht und so den „Buam“ immer gut beobachtet haben. Sicher wird er Jesus kontinuierlich mit der Handwerksarbeit des Zimmermanns vertraut gemacht haben und ausprobieren lassen, ganz so, wie wir es aus der Pikler-Pädagogik mit der vorbereiteten Umgebung kennen. Ich stelle mir vor, dass es ein schmaler Grat ist: auf der einen Seite das Kind für die Arbeit, das Werkzeug und die Technik zu interessieren und selbst forschen zu lassen und auf der anderen Seite muss das Kind ja auch etwas lernen, damit es später einen Beruf und somit eine Grundlage hat, sich selber und, es könnte ja sein, eine Familie zu ernähren. In der neuen Autorität erfahren wir Begriffe wie „wachsame Sorge“ und „persönliche Präsenz“, die für mich Josefs Haltung beschreiben.

Es geht uns auch heute oft so, dass wir uns die Frage stellen: Welche Methode, welcher Weg ist richtig? Wie viel Freiheit, wie viele Grenzen sind sinnvoll? Was ist das Ziel? Was wollen wir dem Menschen mitgeben, den wir beim Lernen, für sich selbst verantwortlich sein, begleiten?

Zwei Buben mit bunten Pullovern stehen vor einer grauen Holzwand und suchen einen geeigneten Platz um einen Nagel in zwei Bretter, die auf Schragen liegen,  einzuschlagen

Noch einmal kurz zurück zu Emmi Pikler: Sie vertrat auch die Ansicht, dass sich die Persönlichkeit eines Kindes dann am besten entfalten kann, wenn es sich möglichst selbständig entwickeln darf.
Als Erwachsener wirkt Jesus auf mich sehr stark, selbstbewusst und selbstbestimmt. Ich kann mir gut vorstellen, dass er so auch als Kind war und die beiden Auseinandersetzungen hatten, wie wir sie alle aus dem erzieherischen Alltag kennen: Meinung gegen Meinung. Man weiß genau, wenn die nächste Handlung so kommt, dann könnte etwas schief gehen. Oder der Wunsch, dass das Kind einfach das tut, was man ihm sagt.
Vielleicht sind einige von Josefs grauen Haaren, mit denen er so oft dargestellt wird, nicht nur dem Alter geschuldet. In meiner Vorstellung hat er intutitiv wahrgenommen, dass Jesus das Recht hat, so zu sein, wie er ist. Ganz nach Janusz Korczak, der eines der Kinderrechte so formuliert hat: „Man darf das Kind nicht geringschätzen. Es weiß mehr über sich selbst als ich über das Kind.“

Ein Kind geht im seichten Wasser ein paar Schritte ins Meer hinein.

Wir wissen alle, wie viel Freude, aber auch Kraft, Energie und Ausdauer es braucht, an der Beziehung zu Kindern zu arbeiten. Heute haben wir das Glück, dass wir mit Supervision durch einen Blick von außen die Möglichkeiten haben, diese Beziehungsarbeit und Situationen zu reflektieren.

Wie war es wohl vor über 2000 Jahren?
Mit wem hat Josef sich ausgetauscht? Mit den Arbeitskollegen? Haben sie sich gefragt: „Warum hast du so reagiert?“ oder „Warum hast du das jetzt gesagt?“
Oder war es Maria, mit der er sich am Abend besprochen hat? Und wie haben sich die beiden als Paar und als Eltern gesehen? Wie haben sie ihre Bedürfnisse und ihre Wünsche wahrgenommen und verwirklicht? Auch das ist ein großes und wichtiges Thema in Familien. 
Der Familientherapeut Jesper Juul legt den Eltern ans Herz, die eigenen Bedürfnisse nicht immer hinter die der Kinder zu stellen. Denn ein Kind profitiert weniger von einer allgegenwärtigen Aufmerksamkeit, sondern vielmehr von einer intakten Familie.1 

Und dann war für mich noch die Geschichte mit dem Traum ein wichtiger Teil aus dem Leben von Josef: Josef hat von der bevorstehenden Gefahr geträumt oder sie erahnt und ist mit seiner Familie nach Ägypten geflüchtet.
Da sehe ich auf der einen Seite jemanden, der hochsensibel ist, vieles sieht und spürt und lernen muss, mit diesen Wahrnehmungen umzugehen. Auf der anderen Seite ist da ein Mann, der sich mit seiner Frau und einem kleinen Kind in eine ungewisse Zukunft aufmacht. Ist es Mut? Ist es Angst? Ist es Sicherheit für die Familie? Ist es der Wille zu überleben? Wahrscheinlich alles zugleich. Da ging es der Familie von Josef, dem Zimmermann  wie den vielen Menschen, die beschließen, ihr Zuhause zu verlassen und darauf hoffen, an einem anderen Ort in Frieden, ohne Angst und ohne Hunger leben zu können.

So stelle ich mir vor, wie Josef hätte sein können. Die stumme Figur in der Krippe hat sich für mich zu einem Menschen verändert, über den man so viel erzählen kann. Dieses Menschenbild in diesem Beitrag ist eindeutig von meinen Gedanken gefärbt. Wahrscheinlich macht sich automatisch jede*r beim Lesen ein eigenes Bild und malt im Geist die Figur des Josef mit den eigenen Farben.

 

Die heilige Familie als geschnitzte Figuren. Maria hält das Kind in ihren Händen und schaut es liebevoll an Josef steht hinter den beiden und legt seinen Arm schützend und bestärkend auf Maria.
Josef, der stille Begleiter, auf den sich seine Familie verlassen konnte.

Literaturangaben

1 Jesper Juuls 10 beste Zitate über Erziehung und Familie | NETPAPA  (Zugriff 09.11.02023)

Elke Pallhuber
Elke Pallhuber

Elke Pallhuber ist pädagogische Mitarbeiterin im k+lv und im Redaktionsteam von AUFLEBEN.online.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

Kommentar schreiben

Bitte logge dich ein, um einen Kommentar zu schreiben.

Kommentare

Sei der erste, der diesen Artikel kommentiert.

Das könnte dich auch interessieren