Beten ist wie tagträumen

Beten ist zuweilen wie ein Tagtraum
von jener Heimat,
deren Licht in unsere Kindheit scheint
und in der noch keiner war.

Johann B. Metz

Dieses Zitat von J. B. Metz, einem der ganz großen Theologen unserer Zeit, ist so dicht und tiefgründig, dass man es zweimal lesen muss. Da geht es zunächst einmal ums Beten. Beten sei wie ein Tagtraum. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass Tagträumen in unserer Gesellschaft oft eine negative Konnotation hat. Mit einem: "Träum nicht!", werden zuweilen Kinder aus ihren Tagträumen gerissen, vor allem wenn sie während des Schulunterrichts ihre Gedanken schweifen lassen. Doch Tagträumen ist mehr. Es ist ein Zustand, in dem sich der Geist öffnet für noch andere Realitäten um uns herum. Nicht umsonst weist der Neurobiologe Dr. Bernd Hufnagl darauf hin, dass erst beim Tagträumen Kreativität entsteht und so manche Geistesblitze dabei auftreten können. Auch ist es erwiesen, dass Meditation ähnliche Effekte im Gehirn auslöst. Beten verbindet uns ebenfalls mit einer anderen Wirklichkeit und öffnet den Geist auf ein Größeres hin.

Dann spricht Metz von einer Heimat, deren Licht in unsere Kindheit schien. Es ist wohl so, dass Kinder einen noch unvermittelten und ungefilterten Zugang zur Wirklichkeit haben. Verschiedene (Spiel-) Realitäten greifen widerspruchslos ineinander. Kinder haben noch dieses Urvertrauen in das Gute. Das ist wohl auch mit "Himmel" gemeint: Ein Zustand, in dem wir das ganz tiefe Vertrauen haben können, dass alles gut ist oder zumindest wird. Denn in dieser Welt muss alles Gute wohl bruchstückhaft bleiben. Das ändert aber nichts an der Verheißung und deshalb schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom: "Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht." (Röm 8,28). 

Die Bibel erzählt von Jakob, dem Enkel Abrahams, folgendes:

Da hatte Jakob einen Traum: Siehe, eine Treppe stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel.
Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Und siehe, der HERR stand vor ihm und sprach: [...] Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe.
Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der HERR ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.

Beten ist wie ein Tagtraum - wie eine Treppe, die unsere beiden Heimatwelten verbindet: Die Erde und den Himmel. Im Gebet verbinden wir diese beiden Orte wie die Engel, die auf und nieder steigen. Gott ist nicht irgendwo fern über den Woken. Gott ist tatsächlich auch hier auf der Erde, nur ist uns das nicht immer bewusst. Gott ist im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Familie, überall dort, wo Menschen sind. 

Wendeltreppe
Phillip Tengg
Phillip Tengg Mag. theol.

Mag. Phillip Tengg hat katholische Fachtheologie in Innsbruck studiert und ist Geschäftsführer des k+lv. Außerdem ist er Fachreferent für Jugend-Liturgie in der Diözese Innsbruck.

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