Unsere Demokratie von Grund auf stärken

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Eine mögliche Antwort für ein friedliches Miteinander

Der Krieg in Osteuropa, die Klimakrise, eine weltweite Pandemie, hohe Energiepreise und die Inflation machen den Menschen zu schaffen. Dass das Bedürfnis nach einer politischen Führung, die diesen Widrigkeiten etwas entgegenzusetzen weiß, groß ist, verwundert kaum. Doch die Folgen der Pandemie, Korruptionsfälle, Inseratenaffären, wirtschaftliche Abhängigkeiten von autoritär geführten Staaten verursachen, laut aktuellen Erhebungen im Herbst 2022 des Forschungsinstituts SORA, einen erneuten Vertrauensverlust in die österreichische Demokratie. Nur mehr ein Drittel der Befragten gibt an, dass das politische System gut funktioniere. 1

Schon viele schlaue Köpfe haben sich in der Vergangenheit darüber Gedanken gemacht, ob es nicht eine Alternative zur demokratischen Herrschaftsform gäbe, bis jetzt herrscht jedoch größtenteils ein Konsens, zumindest in den westlichen Ländern dieser Welt, dass „die Herrschaft des Volkes“, sowohl in ihrer repräsentativen als auch in ihrer direkten Form, für ein friedvolles Miteinander nicht zu übertreffen ist. Das demokratische Herrschaftsprinzip gibt den Bürger*innen nämlich als einzige Herrschaftsform die Möglichkeit, mit gewaltlosen Mitteln eine Regierung zu wechseln. Das bedeutet, die Regierung von heute kann die Opposition von morgen sein. 2

Damit Demokratie als Herrschaftsform in der realen Umsetzung und nicht nur in der Theorie bestmöglich funktioniert, bedarf es einer kulturellen Verankerung. John Dewey, US-amerikanischer Philosoph und mehr oder weniger „Urvater“ der Demokratiepädagogik, hatte diese Erkenntnis bereits vor über 100 Jahren und entwickelte den Ansatz einer Demokratie als Lebensform. Er sah die Grundsteine des demokratischen Denkens darin, einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu schaffen, demokratische Grundwerte zu vermitteln und die Freiheit des Denkens zu fördern. 3
Heute besteht die Aufgabe der Demokratiepädagogik darin, dieses Denken zu ermöglichen bzw. zu vermitteln. Im Folgenden wird näher erläutert, wodurch sich diese Disziplin definiert, welche Inhalte vermittelt werden und welcher Nutzen für unsere Gesellschaft daraus resultieren kann.

 

John Dewey sah die Grundsteine des demokratischen Denkens darin, einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu schaffen, demokratische Grundwerte zu vermitteln und die Freiheit des Denkens zu fördern.

Ein Gartenzwerg steht im Blumenbeet und zeigt mit den Fingern das Victory-Zeichen

Was versteht man unter Demokratiepädagogik?

Ob Demokratiebildung, Demokratielernen oder Demokratiepädagogik, diese Begrifflichkeiten meinen häufig dasselbe: eine Förderung der Demokratiekompetenz. Wolfgang Edelstein hat es mit den Worten „Zu Demokraten werden wir nicht geboren, zu Demokraten werden wir vor allem durch Erziehung und Bildung“4 so treffend beschrieben, dass Demokratie lernbar ist! Diese wertvolle Erkenntnis bedingt in weiterer Folge die zentrale Frage nach den zu vermittelnden Werten dieser Lehre: Demokratiepädagogik ist inhaltlich sehr eng mit der Menschenrechtsbildung verbunden, weshalb die großen Grundwerte der Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität den zentralen Platz einnehmen, sowie die soziale Inklusion und der Wert der Nachhaltigkeit.

Demokratie ist lernbar!

Neben der Institution Schule werden diese Werte vor allem durch kirchliche Institutionen und auch NGOs vermittelt. Auf wissenschaftlicher Ebene tragen aber auch die Nachbardisziplinen, wie die Friedenspädagogik, die Moralforschung und die Toleranzerziehung einen großen Beitrag zur Vermittlung dieser Werte bei. Inhaltlich weisen diese Disziplinen viele Überschneidungspunkte miteinander auf und bedingen oder ergänzen einander sogar. Das betrifft vor allem die Verbindung zur Friedenspädagogik. Das zentrale Bindeglied ist dabei die Vermeidung von Gewalt. Es ergibt sich die Schlussfolgerung, dass durch die Vermittlung von Demokratie als Lebensform, automatisch eine Erziehung hin zu einer Kultur des Friedens gefördert wird – und könnte es einen größeren Nutzen für unsere Gesellschaft geben? 


Demokratiepädagogik wird als eine Form des sozialen Lernens verstanden, mit dem erklärten Ziel, ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft zu fördern. Durch diese Grundausrichtung sollte ihr eigentlich ein Fixplatz an jeder Schule garantiert sein, doch dem ist leider noch nicht so. Wie so oft hängt es vom Engagement der Lehrpersonen ab, wie viel Raum ihr gegeben wird. Hierbei sei darauf verwiesen, dass Demokratiepädagogik jedoch nicht nur auf die Institution Schule zu beschränken ist, sie zieht weitere gesellschaftliche Kreise, während Demokratiebildung auf der Sachebene im schulischen Kontext dem Teilbereich der Politischen Bildung zugeordnet wird und auch im Lehrplan des Faches Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung verankert ist. Die Vermittlung der Demokratie als Herrschaftsform ist somit klar geregelt. Im Gegensatz zur Vermittlung von Werten wird hier auf den institutionellen Aufbau der Staatsform eingegangen: Demokratie als Sachverhalt.5


Politische Bildung und Demokratiepädagogik werden in wissenschaftlichen Artikeln oft kontrovers diskutiert, weil sie einen anderen Zugang zum Thema Demokratie wählen. Während die Demokratiepädagogik den erfahrungsbasierten, werteorientierten Zugang wählt, wird durch die Politische Bildung auf einer sachlicheren Ebene das politische System der Demokratie und ihre Institutionen ins Zentrum gestellt. Wie so oft macht in der Praxis das Zusammenspiel der beiden Ansätze den Erfolg aus, weshalb es notwendig erscheint, die Entwicklung der Politischen Bildung ebenfalls näher zu betrachten. 

Zeitungsstapel

Schulische Verankerung der Politischen Bildung

Ein Blick in die österreichische Geschichte der 2. Republik zeigt auf, dass die politische Bildung nach dem 2. Weltkrieg in erster Linie dazu dienen sollte, die nationalstaatliche Identität zu fördern, und das in Form einer Staatsbürgerlehre. Der Aufbau der Demokratie als Herrschaftsform wurde gelehrt, jedoch nicht ihre soziale bzw. kulturelle Umsetzung vermittelt. Im Jahr 1978 wurde in einem Grundsatzerlass erstmals die Politische Bildung als Unterrichtsprinzip für alle Schulformen, Schulstufen und Gegenstände verankert, aber noch nicht als Unterrichtsfach.6 Dies geschah erst im Jahr 2002, als die Politische Bildung in der Sekundarstufe II im Fachgebiet der „Geschichte und Sozialkunde“ angesiedelt wurde. In der Sekundarstufe I wurde dieser Schritt 2008 vollzogen, obwohl bereits ein Jahr zuvor das Wahlalter in Österreich von 18 auf 16 Jahre gesenkt wurde!7

Schuldemokratie

Schüler*innen eine Mitverantwortung und eine gestalterische Teilhabe am Schulleben zu ermöglichen, ist heutzutage in Österreich, Dank emanzipierter Vorreiter*innen in den 60er und 70er Jahren, nichts Außergewöhnliches mehr. Die genauen Erfordernisse und Abläufe der Schuldemokratie sind gesetzlich im Schulunterrichtsgesetz festgehalten und orientieren sich an den demokratischen, subsidiären Hierarchien, so wie es die Demokratie als Herrschaftsform vorlebt. Klassensprecher*innen, Schulsprecher*innen, Landesschülervertretungen (LSV) und auf höchster Ebene die Bundesschülervertretungen, samt Bundesschulsprecher*in werden jährlich gewählt. Auch die Schulpartnerschaft und ihre Gremien folgen demokratischen Richtlinien. 

Die Kombination macht den Erfolg 

Die politische Handlungskompetenz und auch Reflexionsfähigkeit der Schüler*innen wird durch die Schuldemokratie und die Politische Bildung zweifellos stark gefördert. Durch den ergänzenden Einsatz demokratiepädagogischer Übungen im Unterricht, die beispielsweise eine Toleranz Andersdenkenden gegenüber fördern oder den Schutz von Minderheiten erfahrungsbasiert vermitteln möchten, kann ein wichtiger Beitrag für diese politische Handlungs- und Sozialkompetenz der Schüler*innen geleistet werden. Die Kombination der Ansätze macht den Erfolg! Wie solche Übungen in der Praxis aussehen können und welche unterstützenden Institutionen und Unterrichtsmaterialien es für uns Lehrpersonen gibt, wird Inhalt des 2. Teils dieses Artikels sein. 

 

Hier weiterlesen: Demokratiepädagogik in der Schule 
 

Verwendete Literatur

  1. SORA (2022): Österreichischer Demokratiemonitor 2022

  2. Vorländer, Hans (2017): Demokratie – in der Krise und doch die beste Herrschaftsform? https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/248593/demokratie-in-der-krise-und-doch-die-beste-herrschaftsform

  3. Knoll, Michael (2018): Anders als gedacht. John Deweys Erziehung zur Demokratie. https://www.pedocs.de/volltexte/2021/22170/pdf/ZfPaed_2018_5_Knoll_Anders_als_gedacht.pdf. S. 22.

  4. Knoll, Michael (2018): Anders als gedacht. John Deweys Erziehung zur Demokratie. https://www.pedocs.de/volltexte/2021/22170/pdf/ZfPaed_2018_5_Knoll_Anders_als_gedacht.pdf. S. 22.

  5. Edelstein, Wolfgang (2007): https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/themen/Demokratiebildung/Handbuch_Demokratie_14_11.pdf. S. 7.

  6. BMBF (2015): Grundsatzerlass 2015. In https://www.politik-lernen.at/dl/optmJKJKoOoOnJqx4LJK/2015_12_pdf S. 3.

  7. Diendorfer, Gertraud (2022): „Der lange Anfang“. Der schwierige Weg der Institutionalisierung von Politischer Bildung in Österreich. In: Informationen zur Politischen Bildung Nr. 50. S. 7f.

 

Claudia Speer
Claudia Speer MMag.

Claudia Speer hat das Diplomstudium der Geschichte an der Universität Graz und das Lehramtsstudium in den Unterrichtsfächern Deutsch und Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung an der Universität Innsbruck absolviert. Sie unterrichtet seit 2018 an der Praxismittelschule der PH Tirol, wo sie neben ihrer Unterrichtstätigkeit auch versucht partizipative Elemente an der Schule zu fördern.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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