Politische Bildung ist wichtig

Politische Bildung ist wichtig: genauso wichtig wie manch andere Schulfächer, wie Sprachen, Mathematik, Geschichte oder Chemie – um nur einige wenige zu nennen. Jugendliche dürfen mit 16 wählen, Kinder und Jugendliche gehen für Fridays for Future demonstrieren, Kinder und Jugendliche sind ebenso wie alle anderen von politischen Entscheidungen betroffen.

Im Lehrplan für Volksschulen steht zu lesen, dass „Querverbindungen zum didaktischen Grundsatz des sozialen Lernens und zum Unterrichtsprinzip  Politische Bildung“ sicherzustellen sind1; ähnliches gilt für den Lehrplan NMS (Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung), jenen der Polytechnischen Schule, der Berufsschulen, der AHS und  BMS/BHS. Festgeschrieben ist sie also auch, die Politische Bildung und alle Lehrpersonen können sich in ihrem Engagement für Politische Bildung auf diese Lehrpläne berufen.

Immer wieder wird mehr politische Bildung eingefordert – speziell dann, wenn Wissensdefizite in Bezug auf Politik bei Kindern und Jugendlichen festgestellt werden oder wenn gesellschaftlich unerwünschte Verhaltensmuster (z. B. rechtsextreme Tendenzen oder  fundamentalistische Präferenzen) sichtbar werden. Gleichzeitig wird in politische Bildung wenig investiert. Weder in die Aus- bzw. Fortbildung von Lehrpersonen noch in strukturelle Maßnahmen (wie z. B. in die umfassende Etablierung eines eigenen Unterrichtsfachs). Politische Bildung ist damit insgesamt wenig institutionell verankert und ob politische Bildung Teil der Unterrichtspraxis ist, bleibt im Wesentlichen den betreffenden Lehrpersonen überlassen.

Junge Menschen demonstrieren für eine Welt, in der sie gut und gerne leben wollen.

Das Ausmaß politischer Bildung ist, wie gesagt, nach wie vor stark abhängig vom individuellen Engagement von Lehrpersonen – und da passiert durchaus beachtliches; unterstützt u.a. vom Zentrum polis (Zentrum Politik Lernen in der Schule), das zahllose Materialen zur Verfügung stellt, Anregungen zu konkreten Themenschwerpunkten gibt oder – 2019 bereits zum 17. mal – die Aktionstage Politische Bildung organisiert.

Seit 1978 gibt es den Grundsatzerlass Politische Bildung in den Schulen; es geht in diesem Grundsatzerlass um die Vermittlung bzw. Aneignung von Wissen und Kenntnissen, um die Entwicklung von Fähigkeiten und Einsichten und schließlich um die Weckung der Bereitschaft zu verantwortungsbewusstem Handeln. 2015 wurde ein weiterführender Grundsatzerlass veröffentlicht; wesentliche Ziele dabei sind das Erkennen und Hinterfragen von gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen (und der Legitimation bzw. Kontrolle von Macht); die Förderung der Bereitschaft zu politischer Partizipation; der Abbau von Vorurteilen und Stereotypen oder das Erkennen von existenziellen, globalen Zusammenhängen und Problemen. Ergänzend dazu sei an dieser Stelle auf das Kompetenzmodell von 2008 verwiesen – die Vermittlung von Handlungs-, Urteils-, Sach- und Methodenkompetenz.

Politische Bildung für alle

Didaktisch kann politische Bildung in nahezu jedem Alter und in unterschiedlichsten Zusammenhängen wirksam werden. Allerdings wird es altersadäquater Methoden bedürfen. Mit 16- oder 18-jährigen wird es problemlos möglich sein, Wahlplakate zu analysieren, Politikerreden oder Zeitungskommentare zu diskutieren oder aber empirisch tätig zu werden. Mit 6-jährigen wird politische Bildung oft ohne eine spezielle Etikettierung wirksam werden können. Wenn wir mit ihnen das Ziel des nächsten Wandertags oder die Sitzordnung in der Klasse festlegen, hat das mit Mitbestimmung, mit Partizipation, mit Entscheidung zu tun – ohne ausdrücklich darauf zu verweisen.

Man kann Gemeindevertreter*innen in Schulen einladen oder sie in ihrem Arbeitsumfeld besuchen, man kann Klassenkonflikte offen ansprechen und zu lösen versuchen, man kann versuchen, Außenseiter in den Klassenverband zu reintegrieren – oder sie erst gar nicht zu Außenseitern werden lassen.  Und man kann selbstverständlich auch gesamtgesellschaftliche Themen aufgreifen – wer sorgt wie für Schulen und Krankenhäuser, für Straßen und Freizeitanlagen, für Kulturveranstaltungen oder für Nachtruhe. Man kann also vielfältig über grundlegende Themen von Demokratie reden, ohne den Begriff Demokratie verwenden zu müssen, man kann Politik thematisieren, ohne ausdrücklich Politik benennen zu müssen. Man kann mit Kindern und Jugendlichen über Sinn und Notwendigkeit von Wahlen reden (und darüber, warum Wahlen auf allen möglichen Ebenen sinnvoll sind), über Menschenrechte oder darüber, warum es bei uns keine Todesstrafe gibt. Man kann auch umfangreichere Aktionen durchführen – etwa ein Schüler*innenparlament in der Volksschule..2

Weder Schüler*innen noch Kindern im Kindergarten darf die Meinung, die ideologische Position der Lehrperson aufgezwungen werden.

Ganz wichtig ist in jedem Stadium die Rückbesinnung auf die Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses: zunächst geht es um das Überwältigungsverbot. Weder SchülerInnen noch Kindern im Kindergarten darf die Meinung, die ideologische Position der Lehrperson aufgezwungen werden. Das heißt gleichzeitig nicht, dass Lehrpersonen ihre Meinung nicht artikulieren sollen oder dürfen, sie dürfen aber nicht indoktrinieren. Selbstverständlich haben Lehrpersonen Position zu beziehen. Diese wird teilweise der Position mancher Eltern entgegengesetzt sein und das ist auch gut so. Kinder werden dadurch mit unterschiedlichen Meinungen und Ansichten konfrontiert und Lehrpersonen können die Urteilsfähigkeit von Kindern forcieren. Aber eben nicht dadurch, dass sie ihnen ihre Meinung aufzwingen. Weiters geht es um Kontroversität: Unterschiedliche, in der Gesellschaft vertretene Meinungen und Ansichten sollen auch in der Schule vertreten sein. Nur dadurch kann der dritte Punkt des Beutelsbacher Konsenses – Analyse von politischen Situationen und eigenen Interessenlagen – langfristig umgesetzt werden.

 

Politische Bildung und nicht parteipolitische Bildung

Eine der Schwierigkeiten mit der Politischen Bildung ist, dass nur zu viele darunter parteipolitische Bildung verstehen. Politische Bildung kann langfristig dazu führen, dass die politische Normalität permanent in Frage gestellt wird und dass wir damit Kinder und Jugendliche dazu animieren, die politischen Realitäten zu analysieren und zu hinterfragen. Und das wird von manchen als nicht oder wenig wünschenswert angesehen. Eine zweite Schwierigkeit ist, dass zu Beginn der Zweiten Republik noch nur zu gut die schamlose und brutale Instrumentalisierung von Schule durch die Dollfuß-Schuschnigg Diktatur und kurz später durch den Nationalsozialismus in Erinnerung war. Auch deshalb kam politische Bildung nur sehr zögerlich in Schwung. Beispielhaft für diese Zaghaftigkeit kann der Zielparagraf von 1962 gesehen werden, in dem die Rede ist von der „Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen...“ Das aber war einmal, das ist Vergangenheit.

Politische Bildung kann viel zur Verbesserung von Demokratiequalität beitragen – und darum geht es letztendlich.

Politische Bildung kann viel zur Verbesserung von Demokratiequalität beitragen – und darum geht es letztendlich. Wenn Kinder und Jugendliche die Basis bekommen, politisch aktiv zu sein, politisch und kritisch agieren zu können, wenn sie den Status quo permanent hinterfragen, muss allerdings die Gesellschaft bereits sein, diese Weiterentwicklung der Demokratiequalität anzunehmen und dann müssen politische Entscheidungsträger*innen dies auch glaubwürdig wollen.

 

https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_vs_gesamt_14055.pdf?61ec07 Link ist nicht mehr aktuell: https://www.bmbwf.gv.at/public.html

2 https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_vs_gesamt_14055.pdf?61ec07 Link ist nicht mehr aktuell: https://www.bmbwf.gv.at/public.html

 

Linktipps:

Reinhold Gärtner
Reinhold Gärtner Mag.Dr.

Reinhold Gärtner ist österreichischer Politikwissenschafter. Er erhielt von 2001 bis 2020 eine außerordentliche Professur am Institut für Politikwissenschaft und politische Bildung an der Universität Innsbruck und hat das "Politlexikon für junge Leute" geschrieben.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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