Lernerfolg durch gut gestaltete Lernmaterialien 2/4

2. Aufgabe von Gestalter*innen

Was müssen oder können wir nun tun, um die Lesenden zum Lesen zu motivieren und den Lernenden den maximalen Erfolg zu verschaffen und wie können wir Texte so gestalten, dass möglichst wenig unbewusste Hindernisse und Barrieren entstehen?

Die optimale typografische Lesbarkeit ergibt sich aus dem bestmöglichen Zusammenspiel einzelner typografischer Faktoren unter Berücksichtigung der Rezeptionssituation und des individuellen Lesenden.“ Anne Rose König

Schriftart und Schriftgrad, Abstand zwischen den Buchstaben, Wortabstand, Länge und Abstand von Zeilen sind u. a. visuelle Gestaltungsmittel, die im Sinne der Lesbarkeit eine Rolle in der Gestaltung von Texten und Inhalten spielen.
Sowohl die Anordnung der Schrift auf der Seite als auch das Setzen von Abbildungen bis hin zur Wahl des Papiers und der Druckqualität stellen wichtige Einflussfaktoren der Textgestaltung dar (König, 2004, S. 77).
Einer der bedeutendsten Faktoren ist die Schrift. Eine gut lesbare Schrift ist Basis und Grundlage für die Gestaltung von Texten und Inhalten.

 

2.1. Schrift

Schrift kann und soll deutlicher sein denn Rede“. (Tschichold, 2001, S. 11).

Bei der Frage nach der passenden Schriftart sind Inhalt, Länge und Schwierigkeit des Textes, der gesetzt werden soll, zu berücksichtigen. Die Auswahl der Schrift muss der Funktion des Inhaltes entsprechen und jedenfalls die Kriterien der Lesbarkeit und Semantik sowie technische Anforderungen erfüllen.

 

Eine Überschrift, ein Schlagwort oder ein Slogan auf einer Werbetafel sind anders zu behandeln als ein langer Text.

Kurze Texte mit wenigen Zeichen, bei welchen die Wortbilder ohne Mühe schnell erfasst werden können, sind auch in reinen Zierschriften oder Schmuckschriften mühelos lesbar. Hier besteht nicht die Gefahr, dass ein zu starkes Eigenleben der Typografie den Lesefluss negativ beeinflusst.

Kurze und einfache Texte können ohne Regressionen schnell erfasst werden. Selbst eine gemischte SChrEibWeisE von Klein- und Großbuchstaben verursacht in der Lesbarkeit kaum Probleme, da wir nicht einzelne Buchstaben, sondern Wortbilder aufnehmen. Jedoch haben wir beim Lesen von längeren Texten mit solchen „kreativen“ Spielereien keine Freude.

Die Wahl der Schrift beeinflusst die Leser*innen in vielerlei Hinsicht. Eine Rolle spielen auch die sogenannten „atmosphere values“, die die „Anmutung“ einer Schrift beschreiben. Unabhängig von der optischen Lesbarkeit, können damit Assoziationen wie z. B. alt, modern, vornehm, rustikal, sportlich, technisch u. s. w. ausgelöst werden. Auf diese Art und Weise überträgt der Text die jeweilige „Anmutung“ auf die Lesenden.

Die Firma Berthold, früher Schriftgießerei und später Schriftenvertrieb sowie Hersteller von Fotosetzmaschinen, hat ihren Schriften deshalb „Psychogramme“ mitgegeben. Mit Hilfe eines sogenannten semantischen Differenzials wurde auf einer Skala von eins bis fünf angegeben, wie kühl oder frisch, männlich oder herb, konservativ oder modern, teuer oder dynamisch eine Schriftart ist. Man wählte also aus vorgefertigten Kriterien und Assoziationen (Unger, 2009, S. 140).

Psychogramm der H. Berthold AG zu zwei Schriften mit Figurenverzeichnis Aus Albert Ernst, Wechselwirkung (2005), S. 55

Die Anmutung ist aber jedenfalls nicht das bedeutendste Kriterium, das für eine geeignete Schriftauswahl beachtet werden soll, denn die emotionale Ausstrahlung lässt sich kaum rational begründen.

 

Serifen oder serifenlose Schriften

Eine weitere Frage, die wir uns bei jeder Schriftwahl stellen sollten, lautet „mit oder ohne Serifen?“. Welche der beiden Schrifttypologien besser lesbar ist, wurde bisher noch nicht zufriedenstellend beantwortet. Die Diskussion wird eher mit emotionalen, statt mit rationalen Argumenten geführt und die Ergebnisse sind recht widersprüchlich. Im Folgenden werden einige Vor- und Nachteile der jeweiligen Schriftform dargestellt:

Zwei inhaltlich identische Texte mit gleich vielen Zeichen pro Zeile, optisch gleichen Schriftgrad und Zeilenabstand. Einmal mit und einmal ohne Serifen gesetzt.

Im Vergleich sehen wir, dass die serifenlosen Buchstaben eine einfachere Form aufweisen und sich der Text durch eine lockerere Struktur unterscheidet. Hingegen zeigt sich bei den Serifen ein besserer Schriftduktus und wird die Bindekraft in den Wörtern und Zeilen erhöht.

Serifen sind feine Anfangs- und Endstriche am Beginn und Ende einzelner Buchstaben.

Aufgrund der einfacheren Form von serifenlosen Buchstaben werden serifenlose Schriften als vorteilhaft für Leseanfänger*innen bezeichnet. Wirft man aber einen genauen Blick auf die einzelnen Buchstaben, fragt man sich, ob diese Behauptung tatsächlich zutrifft.

Bei den serifenlosen Buchstaben findet man sehr viele formgleiche Zeichen. B, d, p, q, n und u unterscheiden sich nur dadurch voneinander, dass sie gespiegelt oder gedreht sind. Zwischen dem großen I (i) und dem kleinen l (L) lässt sich sogar kaum ein Unterschied ausmachen.

Bei Serifenschriften sehen wir hingegen, dass die Serifen dazu beitragen, die Buchstaben individueller aussehen zu lassen. Diese Buchstaben lassen sich besser unterscheiden, was für Leseanfänger*innen eigentlich ein Vorteil sein sollte.

Gerrit Noordzij hat darauf hingewiesen und sich deshalb auch gefragt, ob es richtig sei, Kindern mit serifenlosen Schriften das Lesen beizubringen (Noordzij, 1985, S. 53f.).

Insgesamt zeigt sich aber, dass beim schnellen Lesen oder beim Lesen von langen und schwierigen Texten der Einsatz von Serifenschriften ein Vorteil ist, da hier die Buchstaben eine Linie bilden und dem Auge beim Lesen zusätzlichen Halt geben.
 

Streetart: Ein Holzpflock, ein gelbes Schild auf dem in Großbuchstaben SCHULE steht.

Welche Schriftart passt nun zu meinem Text?
Und verlangt ein Mathematikbuch nach einer geometrischen Schrift?

Die richtige Schriftart zu finden, ist auch für Typografen*innen und Designer*innen keine leichte Aufgabe. Diese verwenden häufig Schriften, die kostenpflichtig sind. Aber auch dann gehen die Meinungen auseinander, ob eine Schrift für gut oder schlecht befunden wird.

Selbstverständlich gibt es aber eine Reihe von sehr guten und frei zugänglichen Schriften. Google Fonts bietet ein Verzeichnis von ca. 1.400 Schriftarten, die zur freien Verwendung bereitgestellt werden.
2006 hat Microsoft namhafte Schriftgestalter*innen beauftragt, Schriften zu entwickeln, die sowohl am Bildschirm als auch analog gut zu lesen sind. Unter dem Namen ClearType Font Collection steht eine Sammlung von sechs Schriften mit Glyphen für das lateinische, griechische und kyrillische Alphabet mit einer Reihe von Schriftschnitten kostenlos zur Verfügung. 2021 wurden die 6 Schriften Constantia, Cambria, Corbel, Candara, Calibri und Consolas um 5 weitere Schriften erweitert: Tenorite, Bierstadt, Skeena, Seaford und Grandview.

Eine weitere Empfehlung stellt die DIN 1450 bereit. Diese Norm beschreibt, wie Texte leserlich dargestellt werden können und berücksichtigt dabei insbesondere die demografische Entwicklung sowie die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung. Die Angaben beziehen sich auf die Leserlichkeit von Schriften im öffentlichen Raum bis hin zur Leserlichkeit von Texten in Büchern, Magazinen und Zeitungen.

Die DIN 1450 empfiehlt für lange Texte u. a. die Minion, Neue Frutiger 1450, Palatino, Adobe Caslon Pro, Century Old Style und die Times New Roman.
 

Wie gut ist eine Schrift ausgebaut?

Ein weiterer Faktor für die Lesbarkeit, der sowohl das Rezeptionsobjekt als auch die Rezeptionssituation betrifft, ist das Auszeichnen bzw. Strukturieren oder Hervorheben von Textteilen, das u. a. durch den Einsatz von Schriftschnitten erreicht werden kann.

Deshalb soll auch ein Blick darauf geworfen werden, wie gut eine Schrift ausgebaut ist.
Hat die Schrift genügend Schriftschnitte, um alle Auszeichnungen in der Gestaltung abzudecken? Gibt es Sonderzeichen, Ligaturen und Mediäval-Ziffern sowie mathematische Symbole, wie Brüche und Währungszeichen?

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Barbara Weber-Jeller
Barbara Weber-Jeller DI

Barbara Weber-Jeller, unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule Tirol im Schwerpunkt Kreatives Schaffen im Lehramtsstudium Primarstufe und im Lehramtsstudium Technisches und Textiles Werken in der Sekundarstufe Allgemeinbildung. Seit 2019 leitet sie die Stabsstelle Hochschulmarketing an der Pädagogischen Hochschule Tirol.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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