Lehre mit Matura (2)

Besondere Herausforderungen

Als besondere Hürde auf dem Weg zur Matura, zeigte sich die geblockte Berufsschulzeit. Es konnte beobachtet werden, dass die meisten Abbrüche während oder nach dem Berufsschulblock passierten. Da die Maturavorbereitungskurse nicht Teil des Systems der dualen Berufsausbildung sind, besteht kein rechtlicher Anspruch darauf, während dieses Zeitraums die Kurse weiter zu besuchen. Das bedeutet, dass hauptsächlich Teilnehmer*innen des integrierten Modells während dieser Zeit in den Kursen fehlen und sich die versäumten Inhalte auf anderen Wegen aneignen müssen. Teilnehmer*innen der begleitenden Variante haben in günstigen Fällen die Möglichkeit, die Kurse weiterhin zu besuchen. Etwa, wenn sich die Berufsschule im gleichen Bundesland befindet und am Berufsschulort (synchronlaufende) Maturakurse stattfinden, können die Lehrlinge dort als „Gastschüler*innen“ teilnehmen.

Bewährt hat sich außerdem die Betreuung via E-Learning. Über Lernplattformen konnten sich die „Berufsschüler*innen“ den Lernstoff aneignen und standen zudem in ständigem Kontakt mit den Lehrpersonen ihrer Maturakurse. Der ständige Austausch mit den Lehrpersonen und das Setzen von Deadlines für die Abgabe von Arbeitsaufgaben, stellte sich als sehr wichtig heraus, um die Lehrlinge zum Mitlernen zu motivieren. Nicht nur während der Berufsschulzeit zeigte es sich als erfolgreiche Strategie, Leistungen einzufordern. Kleine, aber regelmäßige Zwischentests wurden in allen Maturakursen eingebaut. Der intensive Austausch zwischen Lehrpersonen und dem Lehrlingscoach bezüglich Leistungsstands bewährte sich ebenfalls. Dem Lehrlingscoach war es dadurch möglich, rechtzeitig Gespräche mit gefährdeten Lehrlingen zu führen und so möglichen Abbrüchen vorzubeugen.

Die Einstellung, mit dem Lernen zu beginnen, wenn „der Druck groß genug ist“, wie gern unter Jugendlichen proklamiert wird (vgl. Laiminger, 2016, S 63), funktioniert in den Maturakursen nicht, da der Lernstoff sehr kompakt auf die zur Verfügung stehenden Zeit aufgeteilt werden muss. Ergebnisse regelmäßiger Kursevaluationen bestätigten, dass Lehrlinge regelmäßige Leistungsüberprüfungen als Lernmotivation schätzen. 

Das richtige Maß an Eigenverantwortung

Lehre mit Matura verlangt von den Teilnehmer*innen hohe Eigenverantwortung in Bezug auf Lernen. Von Lehrlingen wird dies sehr geschätzt, denn gerade dadurch unterscheidet sich das Lernen in den Vorbereitungskursen vom gewohnten Lernen im schulischen Kontext. Gleichzeitig setzt es ein hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstdisziplin voraus.
In der Praxis zeigte sich, dass Erfolg oder Scheitern sich daran knüpften, wie Lehrlinge mit genau dieser Kombination zurechtkamen. Bauer et. al. sprechen von Lernen als „Mangelerfahrung“ und „Auch wenn Lernen durchaus und glücklicherweise viel Spaß machen kann, konfrontiert es einen immer auch (zumindest anfangs) mit dem eigenen Unvermögen – und gehört damit nicht gerade zu den gemütlichen Seiten des Lebens.“ (Bauer et. al., 2007, S 38). Sich aus freien Stücken mit der eigenen „Mangelerfahrung“ auseinanderzusetzen bedarf es hoher Eigenmotivation und Frustrationstoleranz. Letzteres erfordert der Umgang mit einem erweiterten Angebot an Online-Lernmaterial, das - besonders seit Corona - in den Vorbereitungskursen Einzug gehalten hat.

Jugendlichen und jungen Erwachsenen von heute wird gerne hohe Medienkompetenz zugeschrieben. Ikrath und Speckmayr weisen aber auch auf große Ungleichheiten in den Medienkompetenzen bei dieser Gruppe hin (vgl. Ikrath und Speckmayr, 2016, S 13 ff). Während der Corona-Pandemie war zu beobachten, dass nicht alle Lehrlinge optimal via Distance-Learning erreicht werden konnten. Die Nutzung der Lernplattformen war zudem nicht für alle das präferierte Medium, um sich auf die Matura vorzubereiten.  
Trotzdem ist der Einsatz von digitalen Lernmaterialien aus den Maturakursen seither nicht mehr wegzudenken. Besonders während des geblockten Berufsschulunterrichts wird dieses Angebot gern zur Verfügung gestellt, um ein durchgehendes Lernangebot zu gewährleisten. 

Abbruchpräventionsmaßnahmen

Mangelnde Motivation wurde als einer der Hauptgründe für Abbrüche der Maturakurse bereits bei einer Zwischenevaluierung durch das ÖIBF 2012 (Schlögl et.al., 2012, S 36) festgestellt, sowie Überforderung mit den Lerninhalten. Daran hat sich im dargestellten Zeitraum nichts geändert. Umso wichtiger ist es, Lehrlinge auf dem Weg zur Matura nicht sich selbst zu überlassen.
Es hat sich bewährt, in regelmäßigem Kontakt mit ihnen zu bleiben, sie speziell in Fragen zu Zeitmanagement und Motivation kontinuierlich zu unterstützen, sowohl in Einzel- als auch in Gruppencoachings bzw. generell den Überblick über individuelle Verläufe und Lernfortschritte zu haben, um rechtzeitig beratend und stützend eingreifen zu können. Eine durchgehende Begleitung der Lehrlinge vom Einstieg in Lehre mit Matura bis zum Abschluss, beginnend mit einer ausführlichen Beratung über Eignung und Wahl des Modells im Rahmen des Aufnahmeverfahrens, zeigte sich als wichtige Maßnahme, um Abbrüche zu vermeiden.

Ebenso wichtig war die enge Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und Lehrlingscoach und das Monitoring der Anwesenheiten. Seitens des Fördergebers besteht eine Anwesenheitspflicht für Teilnehmende in den Maturakursen mit geringer Toleranz für Fehlzeiten. Ein Überschreiten dieser Toleranzgrenze würde zum Ausschluss aus Lehre mit Matura führen. Durch das Monitoring konnte schnell reagiert, mit betroffenen Lehrlingen Kontakt aufgenommen und Ausschlüsse dadurch verhindert werden. 

Es ist wichtig, Lehrlinge auf dem Weg zur Matura nicht sich selbst zu überlassen.

Resümee

Eine der größten Herausforderungen, die während der sechs Jahre Coaching- und Beratungstätigkeit festgestellt werden konnte, war die zeitliche Doppelbelastung während des Besuchs der geblockten Berufsschule und das damit verbundene Zeitmanagement in Bezug auf selbstorganisiertem Lernen. Digitales Lernmaterial ist sicher eine gute Möglichkeit, die Lehrlinge mit verpassten Inhalten zu versorgen.
Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, betroffene Lehrlinge trotzdem und gerade während dieser Zeit zu begleiten und in regelmäßigem Kontakt mit ihnen zu bleiben. Laut Statistik befanden sich im Jahr 2022 österreichweit ca. 108.0001 Jugendliche und junge Erwachsene in einem Lehrverhältnis. 6% davon nahmen an Lehre mit Matura teil. Somit ist Lehre mit Matura auf jeden Fall eine attraktive Möglichkeit um Absolventen der dualen Berufsausbildung den Weg in die tertiäre Bildungslandschaft zu ebnen. 

 

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Verwendete Literatur

  • Bauer, H.G., Brater, M., Büchele, U., Dufter-Weis, A., Maurus, A., Munz, C. (2007): Lern(prozess)begleitung in der Ausbildung. Wie man Lernende begleiten und Lernprozesse gestalten kann. Ein Handbuch. 3. Auflage. Wbv. W. Bertelsmann Verlag
  • Dornmayr, H. (2022): Lehrlingsausbildung im Überblick. Strukturdaten, Trends und Perspektiven. ibw-Forschungsbericht Nr. 212. S 121. Ibw Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. Wien
  • Dornmayr, H., Löffler, R. (2022): Bericht zur Situation der Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung in Österreich 2020-2021, Forschungsbericht von ibw und öibf im Auftrag des BMDW, Wien
  • Gitter, M., Meyer, F. & Schmidt, C. (2024): Digitale Bildungswelten geringqualifizierter Jugendlicher vor dem Hintergrund veränderter Kompetenzanforderungen. K.-H. Gerholz, S. Annen, R. Braches-Chyrek, J. Hufnagl & A. Wagner (Hrsg.), bwp@ Spezial HT2023: Hochschultage Berufliche Bildung 2023, 1–18. 
    http://www.bwpat.de/ht2023/gitter_etal_ht2023.pdf
  • Ikrath, P., Speckmayr, A. (2016): Digitale Kompetenzen für eine digitalisierte Lebenswelt. Eine Jugendstudie der AK Wien, durchgeführt vom Institut für Jugendkulturforschung. Wien. Jugendkultur.at 
  • Laiminger, A. (2016): Prädiktoren für Mehrfachlehrabbrüche bei Jugendlichen in Tirol. Eine qualitative Studie zu mehrfachem Ausbildungsabbruch bei Lehrlingen. Verlag Julius Klinkhardt. Bad Heilbrunn
  • Mayerl, M. (2016): Berufsmatura. Lehre mit Reifeprüfung. Der österreichische Weg zur Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen dualer Ausbildung und Hochschulbildung. In: BWP 6/ 2016 BIBB
  • Schlögl, P., Mayerl, M., Lachmayr, N. (2012): Berufsmatura. Lehre mit Reifeprüfung. Zwischenevaluierung und Handlungsempfehlungen. Projektabschlussbericht. Wien: ÖIBF

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Astrid Laiminger PhD
Astrid Laiminger PhD Mag.

Astrid Laiminger ist Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Tirol und wirkt am Institut für berufsbildende und allgemeinbildende Studien. Sie ist zuständig für die Koordination - Praxistransfer.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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