Wie Transition vom Kindergarten in die Volksschule gelingen kann
Es ist September und die Kinder im letzten Kindergartenjahr sind endlich Schulstarter*innen. So nennen sich die Kinder bei uns, die im nächsten Jahr die Schulbank drücken werden. Sie können es kaum erwarten, endlich loszulegen … doch womit?
Schulstartkinder und die sozial-emotionale Entwicklung
Die Kinder wissen aus dem Vorjahr von den jetzigen Alumni, dass einige Privilegien auf sie warten, einhergehend mit ein paar zusätzlichen Verantwortungen. Zu Beginn bekommen alle einen Schulstartbutton: ein magnetischer Button für die „Ich bin heute da“-Tafel, versehen mit einem goldenen Stern. Alle wissen, wer nun zur Schulstartgruppe zählt und sich bereits besonders gut im Kindergarten auskennt. „Ah, die kann ich fragen!“
Wenn wir raus gehen, dürfen die Schulstartkinder selbst entscheiden, ob sie eine Matschhose anziehen möchten oder nicht. Erfahrungsgemäß ist diese nicht sehr beliebt, wird sie jedoch nach ein paar wenigen Fehlentscheidung gerne genommen, wenn der Blick nach draußen Nässe vermuten lässt. Dies ist einer von vielen Mini-Partizipationsprozessen, die Verantwortungsübernahme und Selbstermächtigung stärken sollen.
„I bin scho fertig, mir ist heiß und langweilig!“ – Kein Thema … schau bitte, ob ein anderes Kind Hilfe beim Anziehen braucht, denn du kannst das schon und das andere Kind freut sich, von dir lernen zu dürfen. Wir achten auf ein gutes Miteinander und lernen voneinander.
Sind wir auf der Straße unterwegs, übernehmen die Schulstartkinder eine Buddy-Funktion für ein jüngeres Kind und gehen mit diesem in der Reihe. Nebenbei entstehen so neue soziale Netzwerke und die ein oder andere Freundschaft. „Ich mag dem aber nicht die Hand geben!“ – Ist okay, dafür gibt es mit einer Schnur verbundene Holzkugeln. Es ist in Ordnung, wenn man sich mit einer gewissen Vorsicht einem neuen Sozialkontakt nähern möchte. Da die Straßenregeln aber unverhandelbar sind, versuchen wir Lösungen anzubieten, um nicht immer die Hand geben zu müssen und doch verbunden zu sein.
Das Schulstartbuch
Unzufriedenstellende Schulreifetests, Corona-Pandemie und die Neueröffnung unseres Kindergartenstandortes haben uns dazu veranlasst, ein Konzept zu erarbeiten, das die Kinder spielerisch und nachhaltig auf den Schuleinstieg und ihre Bildungskarriere nach dem Kindergarten vorbereiten soll. Wir haben uns angeschaut, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der wissenschaftlichen Meinung nach ein schulreifes Kind beherrschen sollte und wie diese mittels diverser Screening-Methoden abgefragt werden können. Diese Aufgaben haben wir zusammengefasst und thematisch sortiert, sodass sie zu den Schwerpunkten unserer Werkstätten passen (Kurzer Exkurs:
Wir arbeiten nach Werkstättenpädagogik und jeder Raum in unserer Einrichtung hat einen bestimmten Schwerpunkt:
- Naturwerkstatt – drinnen und draußen,
- Rollenspielwerkstatt,
- Atelier,
- Bewegungswerkstatt,
- Bauwerkstatt,
- Holzwerkstatt und
- Kinderrestaurant.
Die Schulstartkinder bekommen ein leeres Schulstartbuch, das sie individuell einbinden, gestalten und beschriften. In dieses Buch kommt das Inhaltsverzeichnis: eine Zusammenstellung aller Aufgaben, die im Laufe des Jahres bearbeitet werden sollen. Neben den Aufgaben steht, in welchem Raum bzw. begleitet von welchem Erwachsenen die jeweilige Aufgabe ausprobiert werden kann. Wurde sie bearbeitet, erhält das Kind einen farbigen Klebepunkt und einen Stempel in sein Buch. Am Ende des Jahres hält jedes Schulstartkind stolz sein eigenes Kompetenzenbuch in der Hand und erhält eine Wiffzackmedaille sowie eine Urkunde für die Portfoliomappe.
Das Inhaltsverzeichnis des Schulstarterbuchs
Die Schulstarteraufgaben sind hier in diesem Inhaltsverzeichnis zusammengefasst und stehen als Premiuminhalt zum Download bereit.
Der Schulstartmittwoch
Die Standard-Screening-Methoden reichen oft nicht aus, um aussagekräftig über sozial-emotionale Themen Auskunft zu geben. Ebenso können Sprachentwicklung und die individuellen Talente der Kinder mit den Schulreifetests nicht „abgefragt“ werden. Daher haben wir ein wöchentliches Treffen für alle Schulstartkinder eingerichtet (Kinder haben ja auch das Recht, Gruppen zu bilden und ihnen beizutreten, was wir gerne unterstützen). Bei diesen wöchentlichen Treffen achten wir besonders auf sprachliche Bildungsprozesse, das Sein und das eigene Verhalten in einer Gruppe bzw. der Gesellschaft. Kenne ich meine Gefühle? Kann ich sie benennen und regulieren? Wie erkenne ich sie bei anderen und wie kann ich darauf reagieren?
Kenne ich meine Gefühle? Kann ich sie benennen und regulieren? Wie erkenne ich sie bei anderen und wie kann ich darauf reagieren?
Emotionale Kompetenz ist der Grundstein, um in einem sozialen Gefüge bestehen zu können. Die Kinder lernen wahrzunehmen, was sie brauchen, damit es ihnen gut geht und wie sie handeln können, falls jemand unerlaubterweise über ihren unsichtbaren Gartenzaun steigt und ihnen in irgendeiner Form zu nahe kommt. Kein Handeln wird verboten, Alternativen zu sozial unverträglichen Handlungen werden aufgezeigt und – im besten Fall – verinnerlicht. Wir widmen uns intensiv der sozial-emotionalen Entwicklung, denn wenn es mir gut geht und ich mich stark fühle, kann ich in einem neuen Umfeld bestehen und kognitive (schulische) Bildungsprozesse gelingen leichter.
Die Kindergartenübernachtung
Ein Highlight ist für alle die Kindergartenübernachtung gegen Ende des letzten Kindergartenjahres. Alle freuen sich und sind gespannt, ob sie es schaffen, die Nacht über im Kindergarten zu bleiben. Es braucht schon ein bisserl Mut, aber der Stolz nach geschaffter Nächtigung ist unbeschreiblich. Natürlich ist auch das Daheimschlafen total in Ordnung, dann darf man selbstverständlich am Rahmenprogramm teilnehmen: Eis, Pizza, Lagerfeuer, Kinderkino und gemeinsames Frühstück, das dankenswerterweise die Eltern beisteuern.
Das kleine, aber feine Schulstart-Extra
Ein paar Highlights verfeinern den Schulstartkindern das letzte Kindergartenjahr. Vermehrt unternehmen wir Ausflüge, um den Bildungsradius der Kinder zu erweitern. Dabei übernehmen sie auch die Führungsfunktion und dürfen in der Reihe vorne gehen (und dürfen dabei zeigen, dass sie sich im Straßenverkehr gut auskennen). Besonderes Augenmerk legen wir auch auf die Sprachförderung. So erwerben die Schulstartkinder in einem unserer Projekte den Büchereiführerschein der hiesigen Bücherei und sind Dank Mio-Maus Experten*innen in Sachen „Was ist eine Bibliothek?“.
… und wo ist meine Schule?
Die Schulen, die unsere Kinder besuchen werden, sind glücklicherweise in der Nachbarschaft, sodass wir immer mal wieder an ihnen vorbeilaufen. Zusätzlich organisieren wir mehrere Zusammenkünfte über das Jahr verteilt, damit die Kinder niederschwellig ihre zukünftige Bildungseinrichtung und ihre Wegbegleiter*innen dort kennenlernen. Die ersten Klassen zeigen den Kindern an einem Besuchsvormittag die unterschiedlichen Fächer in einem Stationenbetrieb und die Direktorin führt an einem Nachmittag die Kinder durchs Schulhaus. Die wollen natürlich wissen, wo das Klo ist, der Werkraum, der Turnsaal, die Klassen, … Wenn möglich, lernen sie sogar ihre Lehrpersonen kennen.
Pfiati, Kindergarten!
Jede und jeder hinterlässt Spuren auf ihrem und seinem Weg. Jede Begegnung berührt und bewegt uns. Wir hoffen, dass die Kinder mit uns in Verbindung bleiben und ihre (Bildungs-)zeit bei uns in guter Erinnerung behalten. Zur Visualisierung der Verbindung darf jedes Kind seinen Namen in ein Aluminiumschild prägen und dieses an unserem Wegweiser anbringen. Wer weiß, vielleicht kann die eine oder der andere seinen Kindern mal sagen: „Schau, hier bin ich in den Kindergarten gegangen und das hat mich nachhaltig geprägt.“
1 Jahr danach
Haben die Schulkinder das erste Volksschuljahr geschafft, laden wir sie zu einer Eis-Plauderstunde ein. Dabei dürfen sie schauen, ob und was sich im Kindergarten verändert hat und wir erfahren, wie es ihnen in der Taferlklasse ergangen ist.
Warum wir das machen? Weil es uns interessiert – ehrlich! Echtes Interesse ist förderlich für eine gute Beziehung und Beziehung ist einer der Grundpfeiler für gelingendes, nachhaltiges Lernen.
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