Supervision ... und was wir uns vorspielen

Supervision in der Schule und im Kindergarten unterstützt die Professionalisierung. Nach einer Einführung in das ambivalente Verhältnis von Supervision und Pädagogen*innen finden sich in der Metapher des (Vor-) Spielens wichtige Anhaltspunkte: Seine bzw. ihre Rolle finden, auch mal von der Bühne treten dürfen, Spielräume entdecken und mit Druck umgehen lernen. Lädt Supervision ein, etwas vorzuspielen?

 

1. Das etwas verhaltene Verhältnis von Supervision und Schule

Mit der Supervision ist es so eine Sache. Ich weiß nicht, welche Gefühle, Gedanken und Assoziationen bei Ihnen hochkommen, wenn Sie das Wort „Supervision“ lesen. Oder noch deutlicher: „Gehen Sie in Supervision!“ Kommt da ein Kribbeln? Mein Eindruck als Supervisor und Lehrer ist, dass nach wie vor nicht wenige Lehrer*innen und Elementarpädagogen*innen zu diesem Beratungsformat ein äußerst ambivalentes, um nicht zu sagen distanziertes Verhältnis haben. Sucht man als Lehrender nach einschlägigen Angeboten, findet man in Tirol kaum Supervisionsangebote für Lehrer*innen – und wenn, dann eher versteckt. Und als eine Bekannte in ihrer Schule einen Aushang machte, dass es ein Supervisionsangebot für ihre Schule gebe, gab es … ja genau: keine einzige Rückmeldung. Selbst das unterstützende Angebot des k+lv „Wir um vier“ könnte unter die Kategorie „Wer will mich?“ fallen.

(Anm.d.R.: WIR UM VIER ist ein Angebot des k+lv für Pädagoginnen und Pädagogen, sowie pädagogische Fachkräfte an Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, um sich in regionalen Gruppen in geschützter, vertraulicher Atmosphäre und unter professioneller Begleitung regelmäßig zu treffen, damit berufliche Anliegen miteinander reflektiert und Lösungen erarbeitet werden können.)

Ein Sesselkreis mit 7 blauen Sesseln steht in einem Teil eines Klassenzimmers.
@ Gerd Forcher

Ist das Format zu unbekannt?

Spielen sich die Lehrer*innen und Elementarpädagogen*innen etwas vor, wenn sie die Möglichkeiten der Supervision nicht nutzen? Ist das Format vielleicht auch zu unbekannt? Hat Supervision den Geruch, man müsse hier „Seelenstriptease“ betreiben oder man oute sich dann als jemand, der Hilfe „nötig“ hat und sich nicht selbst zu helfen weiß? Lehrer*innenberuf als „Lonesome rider“? Elementarpädagoge*in als Held*in des Alltags? Spielen sich manche tatsächlich noch vor, alleine alles schaffen zu müssen? Während etliche Berufe Supervision in ihrem Profil von vornherein als wesentlich für ihre Professionalisierung ansehen, scheint sie in Schule und Kindergarten noch nicht ganz angekommen zu sein.

Wenn man die Anfänge der Supervision betrachtet, findet man den Ausgangspunkt in den gesellschaftlichen Veränderungen durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die damit verbundenen Entwicklungen im Sozialwesen in den Vereinigten Staaten. Man könnte sagen, dass sich aus der neu entstandenen Profession der Sozialarbeit auch die Supervision mitentwickelt hat und grundsätzlich – bis heute – drei Aufgabengebiete hat:

  1.  Administrative Funktion: Der „supervisor“ wurde in den sozialen Organisationen der USA als Personalverantwortliche*r mit Beratungsfunktion auf der mittleren Hierarchieebene angesehen. Diese Funktion ist in unseren Breiten nicht von großer Bedeutung.
  2. Aufgaben in der Ausbildung: Große Bedeutung erlangte diese Funktion u. a. in der analytisch-klinischen Arbeit in der Psychiatrie.
  3. Unterstützende oder befähigende Aufgaben: Hier findet sich die meines Erachtens wichtigste Aufgabenstellung, die auch im schulischen und Elementarbereich nützt: Die handelnden Personen sollen durch Supervision unterstützt werden, um sich als handlungsfähig zu sehen, um eigene Rollen und anderes zu klären und um das eigene Berufsbild zu schärfen. Dazu bedarf es – und das ist ein Kernelement der Supervision – eines Perspektivenwechsels, eines neuen oder anderen Blickwinkels: „Spiel mir und dir nichts vor!“, kann dabei schon mal ins Gegenteil gekehrt werden.

 

Ein Figur mit Holzmaske aus der Tiroler Fasnacht im Oberland
@Bruno Morrigl

2. Spiel mir was vor: Rolle und Funktion und Supervision

Supervision unterstützt beim täglichen Spiel im Beruf: Und hier hilft die Metapher des Theaterspiels:

  • Welche Rollen spiele ich in der Klasse oder in der Gruppe? Im Konferenzzimmer oder Aufenthaltsraum?
  • Wie sieht die Bühne aus, auf der ich spiele?

Und das ist durchaus ernst gemeint. Das Psychodrama, entwickelt von Jacob Levy Moreno (1890 – 1974), ist nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch in der schulischen Umsetzung („Szenische Didaktik“) und in der Supervision bekannt. Einzelne Situationen des Arbeitsalltags können im wahrsten Sinn des Wortes „auf die Bühne“ gebracht werden. In diesem, aber auch anderen Verfahren und Methoden der Supervision kann ich mir meiner Rollen und Funktionen bewusstwerden, die ich als Lehrer*in einnehme. 

Klar: Ich bin Lehrer*in – das wäre meine berufliche Position.1  Und meine Funktionen, die ich erfüllen soll (unterrichten, Lehrstoff vermitteln, etc.), sind mir auch noch einigermaßen klar. Aber ist mir immer bewusst, dass ich in der Klasse diese Position und ihre Funktionen mit unterschiedlichen Rollen ausfülle? Vielleicht kommt das Väterliche/Mütterliche zum Vorschein. Möchte ich manchmal mehr „Kumpel“, „Freund*in“ oder doch eher die „Experte*in“ darstellen? Oder vielleicht nehme ich es auch persönlich, wenn eine falsche Antwort aus den Schüler*innenreihen kommt? Diese Konfusion von Rollen, Funktionen und Position kann in der Supervision geklärt werden.

Auch hier hat die Supervision die Aufgabe, wie der Backstagebereich eines Theaters oder Musiksaales zu fungieren. Wenn ich von der Bühne gehe, darf ich wieder Ich selbst sein. Wenn ich von der Bühne gehe, darf ich überlegen und nochmals innerlich beobachten, welche Rolle oder welches Musikstück ich hier gespielt habe. 

Im Backstagebereich gibt es Requisiten, andere Personen, die nicht unmittelbar auf der Bühne stehen, es gibt Garderoben und Ruheplätze. Und ich kann ganz rausgehen, um auch wieder andere Blickwinkel und Perspektiven zu erleben. Supervision ist so ein „Backstage“: Möglichkeit mich zu orientieren, mal aus meinen Rollen und Positionen rauszutreten, mal zur Ruhe zu kommen. Und ganz wesentlich ist, dass ich neue Blickwinkel gewinnen kann.

3. Spiel mir was vor: Spielend lernen und handeln – und das „öffentliche Vorspielen“

Und das Spiel geht weiter! Die Elementarpädagogik weiß davon und tut es, alle anderen ahnen es und tun es vielleicht auch: Der Mensch ist ein „homo ludens“, ein spielender Mensch, der durch Spiel von Beginn seines Lebens an lernt, lernt und nochmals lernt. Spiel bereitet auf den „Ernstfall“ vor, Spiel zeigt, dass wir selbst etwas tun können und handlungsfähig sind. Nicht umsonst sprechen wir von „Spielraum“ und „Spielbein“, wenn es darum geht, unsere Freiheiten und Möglichkeiten zu beschreiben. Manchmal ist es gut, diese „Spielräume“ bewusst auszuloten, selbst ein wenig damit zu spielen. Und hier kommt wiederum die Supervision „ins Spiel“: In der Supervision darf ausprobiert, „gespielt“ werden: Spiel mir und dir also etwas vor. Welche Handlungsfreiheiten habe ich in der Klasse oder im Gruppenraum? Wie verschaffe ich mir neue Spielräume?

Damit komme ich zum „melodischen“ Spiel: Wenn ich in der Musikschule etwas „vorspiele“, dann zeige ich mein Können und was ich erlernt habe. Manchmal spiele ich ein Solo, dann im Duett oder im Orchester. Doch das Vorspielen ist immer öffentlich. Als Lehrperson oder Elementarpädagoge*in stehe ich immer unter dem Zugzwang, Experte oder Expertin zu sein. Und ich stehe im Brennpunkt nicht nur zwischen Schülern*innen, Kindern, Kollegen*innen, Leitung und Eltern – wahrscheinlich war es immer schon so, dass Bildung im Fokus der Politik und der öffentlichen Meinung gestanden hat. Und damit meine ich nicht nur die ideologischen Ranggeleien, wie Bildung zu vermitteln ist, sondern auch aktuelle „Bewertungs-Apps“, als ob Lehrpersonen mit Sternen bewertet werden könnten wie die neuesten Hits in den Musikcharts. Oft spielen wir uns selbst was vor, werden aber auch aufgefordert, etwas „vorzuspielen“. 

Zwei Hände, die Klavier spielen
@Bruno Morrigl

Mit diesem Druck von verschiedenen Seiten gut umgehen zu können, könnte ein weiterer Aspekt sein, der in der Supervision zur Sprache kommt. Damit ist Supervision ein sinnvolles Werkzeug, um die eigene Profession zu stärken: Ich kann mich von meiner Arbeit auch gesund distanzieren, sehe auf meine Spielräume, kläre meine Rollen und vieles mehr. Und ich lerne mit dem Druck von allen möglichen und unmöglichen Seiten umzugehen.
Wenn ich mir und anderen was vorspiele, klingt das zunächst nach: „Auweh, ertappt!“ Unter einem anderen Blickwinkel kann ich darin vielleicht das oben erwähnte „Vorspielen“ entdecken, das zu mir gehört als Lehrperson oder Elementarpädagoge*in. Und in der Supervision kann dann die Aufforderung sogar lauten: „Spiel mir was vor, damit wir es uns anschauen können!“
 

Gerd Forcher
Gerd Forcher MMag., MSc

Gerd Forcher ist Lehrender an der SOB Tirol - Schule für Sozialbetreuungsberufe und Supervisor und Coach. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Burnout-Vorbeugung, Nonprofit-Organisationen, Kommunikation, Konfliktmanagement und Team-Entwicklung.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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