Eine diskriminierungskritische Perspektive

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Dieser Artikel beleuchtet die Vielfalt an Schulen aus einer diskriminierungskritischen Perspektive. Schulen, als zentrale gesellschaftliche Institutionen, prägen nicht nur Bildung, sondern auch kulturelle Identitäten. Die Betonung nationaler Interessen spiegelt sich in Ritualen, Lehrinhalten und der Zusammensetzung des Lehrkörpers wider. Eine frühzeitig etablierte  „Wir" und die anderen“-Unterscheidung prägt den Schulalltag verstärkt durch interkulturelle Zuschreibungen. Schulsozialarbeit offenbart internalisierte Ethnisierungsprozesse, die Schüler*innen in eine bestimmte Identität drängen.

Vielfalt als Bereicherung

Der Artikel plädiert für eine inklusive Schulbildung, die Vielfalt als Bereicherung begreift. Diskriminierungserfahrungen erfordern Sensibilität, institutionelle Unterstützung und eine diskriminierungskritische Perspektive. Rassismus und Diskriminierung sind tägliche Herausforderungen im Bildungsbereich. Eine diskriminierungskritische Haltung erkennt Diskriminierung anhand ihrer Wirkung und fördert eine umfassende Auseinandersetzung mit Machtstrukturen und Privilegien.
Die Förderung von Vielfalt und Rassismuskritik an Schulen erfordert strategische Ansätze. Erfahrungsaustausch, inklusive Lehrmaterialien und offene Gespräche sind Schlüsselelemente. Empowerment und schulweite Unterstützung durch aktive Maßnahmen fördern eine inklusive Bildungsumgebung. Lehrer*innen spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie Werte und Fähigkeiten zur Diskriminierungsbekämpfung vermitteln. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten ist entscheidend, um eine demokratische und inklusive Gesellschaft zu gestalten.

Weiße, blaue, und rot/kupferfarbene Glasmurmeln

Eine diskriminierungskritische Perspektive auf Vielfalt in der Schule

Schulen sind Orte, die von allen Menschen bis zu einer bestimmten Schulstufe besucht werden. Dadurch übernehmen Schulen eine zentrale Funktion in der Gesellschaft, die nicht nur mit der Vermittlung von Bildung zu tun hat. Die in der Schule vorkommende Heterogenität wird dabei entlang nationalstaatlicher Interessen geordnet und trägt somit zu einer kulturellen Vereinheitlichung bei, die eine Zusammengehörigkeit herstellen soll. Damit einhergeht die Unterscheidung von „eigen“ und „fremd“, die im Schulalltag immer wieder in Form von institutionellen Abläufen, Routinen und Ritualen hergestellt wird.

Dabei vermittelt die Schule eine nationalstaatliche Perspektive, die klar macht, dass Österreich ein deutschsprachiges, katholisches Land ist, in dem die Mehrheitsgesellschaft als weiß gelesen wird. Das zeigt sich zum Beispiel in der Benennung von Fächern, die Fremdsprachen in Abgrenzung zu Deutsch widerspiegeln, in katholischen Symboliken oder Ritualen wie dem Morgengebet und wirkt sich bis in die mangelnde Diversität der Lehrkörper aus. Somit lernen Schüler*innen sehr früh, wer zur Mehrheitsgesellschaft gehört und wer nicht.

In der Praxis der Schulsozialarbeit werden internalisierte Selbst- und Fremdethnisierungsprozesse deutlich. So verorten sich Schüler*innen, die hier in Österreich geboren sind, im Herkunftsland der Eltern, auch wenn sie bereits in der zweiten bis dritten Generation hier in Österreich leben, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und manchmal nicht einmal mehr die Herkunftssprache der Eltern sprechen. Es ist jedoch nicht verwunderlich, denn diese Unterscheidung zwischen „Wir“ und „die anderen“ wird im Alltag der Schule mit interkulturellen Zuschreibungen wie zum Beispiel „Die sind halt kulturell anders“ oder wenn versucht wird, soziale Prozesse wie Lautstärke, Disziplin, Leistung und Motivation mit dem Migrationshintergrund zu erklären, immer wieder neu bestätigt.

Bunte Murmeln mit verschiedenen Mustern und Farben.

Eine Perspektive auf die Schule entwickeln

Die Schüler*innen, die in unseren Klassenzimmern sitzen, repräsentieren eine gesellschaftliche Vielfalt. Es ist wichtig zu verstehen, dass Vielfalt nicht nur auf kulturelle Unterschiede beschränkt ist. Sie umfasst auch Unterschiede in den Geschlechtern, den sexuellen Orientierungen, den Fähigkeiten und den Lebenserfahrungen der Schüler*innen.

Diese Vielfalt bereichert den Lernraum und schafft die Möglichkeit für umfassendere Diskussionen und kann – wenn genutzt – tiefere Einblicke in die Welt um uns herum bieten. Mit dieser Vielfalt gehen jedoch auch Diskriminierungserfahrungen einher. Deshalb ist es wichtig, dass die Schulen sensibel für Ungleichheiten und Diskriminierungen innerhalb der Einrichtung sind, damit sie Schüler*innen bei Diskriminierungserfahrungen adäquat unterstützen können. Das heißt auch, dass Schüler*innen wissen, wohin sie sich innerhalb der Schule wenden können. Das wiederum setzt voraus, dass es eine institutionell abgesicherte Besprechungskultur gibt, in der zum Beispiel rassistische Vorkommnisse offen angesprochen werden können.

Ebenso wichtig ist es, eine diskriminierungskritische Perspektive zu entwickeln und zu vermitteln, um Vorurteile und Diskriminierung zu bekämpfen. Im Folgenden werden wir uns mit der Bedeutung von diskriminierungskritischen Perspektiven in Schulen auseinandersetzen und wie wir gemeinsam dazu beitragen können, eine inklusive Bildungsumgebung zu schaffen.

Am Tisch liegen blaue Glasmurmeln. In der Mitte ist ein Kreis frei und ganz in der Mitte liegt eine blaue Murmel allein.
Allein in einer Gemeinschaft oder mitten drin?

Überlegungen und Haltungen zu Diskriminierungen

Rassismus und Diskriminierung treten tagtäglich in jeder Bildungseinrichtung auf. Sie zeigen sich individuell, reproduzieren sich institutionell und können von direkt bis versteckt auftreten. In einer diskriminierungskritischen Haltung ist es zentral, Diskriminierung unabhängig von der beabsichtigten Herabwürdigung von Betroffenen zu betrachten. Es ist wichtig zu klären, dass Diskriminierung sich immer an der Wirkung und nicht an der Einstellung oder Absicht der handelnden Person orientiert (vgl. Diverse Herausgeber*innen 2021:8).

Im Kontakt mit von Diskriminierung Betroffenen ist es daher wichtig, Schüler*innen ernst zu nehmen und ihre Erfahrungen weder zu bagatellisieren noch zu relativieren, da dies zu erneuten, sekundären Diskriminierungserfahrungen führen kann (vgl. ebd.).

Eine diskriminierungskritische Perspektive beinhaltet auch die Fähigkeit, rassistische Denkmuster, Vorurteile und Strukturen zu erkennen und zu hinterfragen. Es geht darum, zum Beispiel Rassismus nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern als ein System von Macht und Privilegien, das bestimmte Gruppen benachteiligt und andere bevorzugt. In einer Schulklasse bedeutet das für die Schüler*innen, sich konkret mit Diskriminierungen und deren Strukturen auseinanderzusetzen. Dadurch ist es möglich, Vorurteile zu erkennen und Diskriminierungen zu benennen, wodurch Schüler*innen vermittelt wird, wie sie für soziale Gerechtigkeit eintreten können. Indem sie lernen, wie sie dazu beitragen können, sich für eine inklusive Umgebung einzusetzen, erleben sie Selbstwirksamkeit.

Das bedeutet für den Unterricht, sich Kompetenzen und Wissen anzueignen, die in einer Auseinandersetzung mit Ungleichheit unterstützend sind. An dieser Stelle möchte ich noch ein paar Gedanken teilen, wie wir Vielfalt und diskriminierungskritische Perspektiven in Schulklassen fördern können.

Viele bunte und verschiedene Glasmurmeln liegen auf der Straße. In der Mitte liegt eine große Glaskugel, die die Umgebung auf den Kopf stellt und umgekehrt widerspiegelt.
Was passiert, wenn ich den Blickwinkel wechsle?

Strategien zur Förderung von Vielfalt und Rassismuskritik in der Schulklasse

  • (Freiwilliger) Erfahrungsaustausch: Lehrer*innen können den Schüler*innen die Möglichkeit bieten, ihre eigenen Hintergründe und Lebenserfahrungen zu teilen. Dies kann in Form von Präsentationen, Diskussionen oder kreativen Projekten geschehen. Der Fokus sollte darauf liegen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen und zu schätzen. Wichtig ist, dass bei sensiblen Themen die Freiwilligkeit gewährleistet ist.
  • Inklusive Lehrmaterialien: Lehrer*innen sollten Lehrmaterialien auswählen, die die Vielfalt der Schüler*innen widerspiegeln. Das bedeutet, Bücher, Filme und andere Ressourcen einzubeziehen, die verschiedene Kulturen, Geschichten und Perspektiven zeigen.
  • Offene Gespräche über Diskriminierungen: Lehrer*innen sollten den Schüler*innen Raum für offene und ehrliche Gespräche über Rassismus oder Sexismus geben. Dies kann schwierige Themen aufgreifen, aber es ist wichtig, dass Schüler*innen verstehen, wie Rassismus funktioniert und wie er bekämpft werden kann.
  • Empowerment: Schüler*innen sollten ermutigt werden, sich für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit einzusetzen. Dies kann durch Projekte, Aktivismus oder die Teilnahme an gemeinnützigen Organisationen geschehen.
  • Schulweite Unterstützung: Die Schule als Ganzes sollte sich für Vielfalt und Diskriminierungskritik engagieren. Dies kann durch Schulprogramme und Fortbildungen für Lehrer*innen gefördert werden. Wichtig ist dabei, dass es keine Alibiaktionen sind, sondern ernst gemeinte Handlungen, die sich im Alltag der Schüler*innen widerspiegeln.
Ein weiße Glasmurmel mit einem orangen Streifen wird von hinten her angeleuchtet und leuchtet golden.
Erkennen, dass Vielfalt eine Stärke ist.

Zum Schluss

Die Wertschätzung von Vielfalt und diskriminierungskritischen Haltungen sind von entscheidender Bedeutung für die Schaffung einer inklusiven Bildungsumgebung. Lehrer*innen spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung dieser Werte und Fähigkeiten bei ihren Schüler*innen. Das heißt auch, dass sie sich aktiv Wissen und Kompetenzen aneignen sollen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Schulverwaltung, Schulunterstützungssystemen wie Schulsozialarbeit, den Erziehungsberechtigten und Schüler*innen entscheidend.

Es ist wichtig zu erkennen, dass Vielfalt eine Stärke ist und wir gemeinsam gegen Vorurteile und Diskriminierungen vorgehen müssen. Wenn Schulen sich aktiv für diese Ziele einsetzen, können sie nicht nur eine bessere Bildung bieten, sondern auch einen positiven Beitrag zur Schaffung einer demokratischen, im Sinne einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft leisten.

Quellen

  • Diverse Herausgeber*innen: Diskriminierung als Alltagsphänomen. Handlungsmöglichkeiten für die Schulsozialarbeit. Frankfurt am Main 2021.
     

     

Maurice Munisch Kumar
Maurice Munisch Kumar Mag. (FH)

Mag. (FH) Maurice Munisch Kumar MA, MA, ist Sozial und Kulturarbeiter. Er hat Europäische Ethnologie, Soziologie und Soziale Arbeit in Innsbruck und Berlin studiert. Er ist in verschiedenen Projekten und Vereinen als Kultur- und Sozialarbeiter aktiv, u. a. beim Kulturkollektiv ContrApunkt, in der p.m.k. (Plattform mobiler Kulturinitiativen), bei Archive-IT/Subkulturarchiv, der Tiroler Kulturinitiative (TKI) sowie in der Schulsozialarbeit Tirol. Außerdem ist er als freier Autor, Dozent und Antidiskriminierungstrainer (contra:vers) tätig.

Credits: Florian Lechner

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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